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Liebe Vereinsmitglieder, Freundinnen und Freunde des Schweizerischen Sozialarchivs
 
Was lange währt wird endlich gut, sagt der Volksmund. Dass Gutes aber auch sehr viel schneller entstehen kann, beweist unser frisch renovierter und modernisierter Lesesaal, der nach dreiwöchiger Schliessung im Mai, seit Anfang Juni wieder uneingeschränkt offen ist. Ob Sie in der bequemen Lounge in einer Zeitung oder Zeitschrift schmökern, an der Rechercheinsel mit unseren Findmitteln arbeiten, die bequemen und technisch neu erschlossenen Einzelarbeitsplätze benutzen, oder einzigartige Schmuckstücke aus unseren Beständen in den eleganten Vitrinen bestaunen - ein Besuch im Schweizerischen Sozialarchiv lohnt sich immer. Sie sind jederzeit herzlich willkommen! 

Seit jeher bewegen Olympische Spiele die Gemüter. Am 24. Juli 2016 gab das IOC-Exekutivkomitee einen Teilausschluss Russlands von den Olympischen Spielen bekannt. Russische Sportler, die den Nachweis erbringen, nicht in das russische Staatsdopingsystem involviert gewesen zu sein, dürfen an den Spielen teilnehmen. Von dieser Entscheidung unberührt bleiben die russischen Leichtathleten. Vor 80 Jahren hingegen stand die "Hitlerolympiade" in der Kritik. Die Nationalsozialisten, ursprünglich skeptisch gegenüber der olympischen Bewegung eingestellt, benutzten die internationale Wirkung der Olympiade für eine beispiellose Propaganda. Auch medial war die "Hitlerolympiade" ein nie dagewesenes Spektakel, wurde sie doch erstmals per Rundfunk fast auf dem gesamten Erdball ausgestrahlt. Zahllose Boykotte richteten sich gegen die systematischen Judenausgrenzungen und antisemitischen Parolen. Die Proteste und Boykotte blieben jedoch relativ folgenlos, da sich keine der grossen Sportnationen dazu durchringen konnte die Teilnahme abzusagen. Wie die Schweizer SATUS-Vereine auf diese Geschehnisse reagierten und was es mit der spanischen Gegenolympiade auf sich hat, lesen Sie am besten im neuen Beitrag von Christian Koller.   

Auch die Abteilung Archiv beschäftigt sich mit dem Thema Propaganda. Die Werbeagentur GOAL, die hauptsächlich für die SVP tätig ist, trennte sich vor Kurzem von einem Vierteljahrhundert aufsehenerregender politischer Werbung. Fast 500 Wahl- und Abstimmungsplakate fanden so ihren Weg in das Schweizerische Sozialarchiv und sind nun online.

In der Sachdokumentation sind originär in elektronischer Form erscheinende Publikationen neu auch als solche in der Datenbank konsultierbar. Neben den Schachteln mit gedruckten Broschüren/Flugschriften und den Schachteln mit Zeitungsausschnitten gibt es in der Datenbank Sachdokumentation neu also eine dritte Rubrik "Digitale Schriften" (DS). Darin werden die zu einem Thema gesammelten elektronischen Dokumente neu gelistet. Probieren Sie die neue Funktion doch einfach mal aus.

Werfen Sie auch einen Blick auf die Buchempfehlungen der Bibliothek und auf die Zuwachslisten der Monate Mai und Juni 2016.

Wir freuen uns über Ihr Feedback und wünschen wie immer viel Spass beim Erkunden des Newsletters.
 
Vassil Vassilev, Leiter Benutzung
 

Willkommen im aufgefrischten Lesesaal!


Nach dem Umbau im Mai ist der frisch renovierte Lesesaal im Sozialarchiv wieder für alle Nutzungen offen, es gelten wieder die üblichen Öffnungszeiten.
 

Was ist neu, was ist gleich geblieben? – Finden Sie den Unterschied!


Die Räume: Der Lesesaal des Sozialarchivs wird auf vielfältige Weise genutzt: Zum Lesen, Schreiben und Lernen, für Recherchen und das Quellenstudium sowie als Abhol- und Rückgabeort für ausleihbare Medien. Dem trägt eine neu differenzierter ausgestaltete Raumaufteilung Rechnung: Es gibt Einzelarbeitsplätze fürs stille Studium, einen separierten Gruppenraum für gemeinschaftliches Arbeiten und Lernen, eine bequeme Sitzecke für die Zeitungs- und Zeitschriftenlektüre, einen grosszügigen Recherchebereich mit PC-Stationen und einen grossen Tisch für die Sichtung besonders grossformatiger Dokumente. Durch eine deutlichere Trennung der verschiedenen Nutzungen sind somit lautere von stilleren Bereichen besser abgegrenzt. – Nehmen Sie da Platz, wo es Ihnen am besten passt!

Das Mobiliar: Unsere alten Stühle waren zwar stilvoll, wurden von den meisten Benutzenden jedoch als unbequem empfunden und häufig durch unsere Hocker und Plastikklappstühle ersetzt. Aus diesem Grund wurden diese breiten Stühle mit Lehne ersetzt, und zwar durch zwei verschiedene neue Stuhlmodelle, so dass die Benutzenden in Zukunft eine Alternative haben, sollte ihnen das eine Modell nicht behagen. Die Holzhocker im alten Stil, die vor allem für die Fensterplätze beliebt sind, haben wir beibehalten – ebenso die Tische, die lediglich etwas aufgefrischt und sämtlich mit Stromanschlüssen ausgestattet wurden, so dass Sie bequem Ihr Laptop anschliessen können.

Die Theke beim Informationsschalter wurde ausgewechselt. Mit der Computerisierung sind viele Arbeitsabläufe papierlos geworden, was weniger Arbeitsfläche nötig macht. Wir haben dies als Chance genutzt, den Schalter neu zu konzipieren und ihn schlanker und einladender zu gestalten. Er ist für Fragen aller Art die erste Anlaufstelle – wir sind für Sie da!

Die Zeitungen und Zeitschriften: Nach wie vor liegen im Lesesaal von den wichtigen schweizerischen und von etlichen ausländischen Zeitungen die aktuelle sowie die Nummer vom Vortag auf. Ebenso ist eine Auswahl der vom Sozialarchiv abonnierten Zeitschriften frei zugänglich. Neu sind die Zeitungen und Zeitschriften nicht mehr nach Thema, sondern alphabetisch nach Titeln eingeordnet. – Falls Sie eine Publikation nicht sogleich (wieder)finden, fragen Sie bitte am Informationsschalter, wir helfen Ihnen gerne. Und natürlich sind wir Ihnen dankbar, wenn Sie die Zeitung nach der Lektüre wieder am richtigen Ort hineinstecken, danke!

Der Katalogsaal: Die meisten Zettelkataloge sind obsolet geworden, weil die Katalogdaten längst elektronisch im NEBIS-Katalog oder in der Datenbank Sachdokumentation erfasst sind. Einzig die Sacherschliessung für die Monografien bis 1992 ist nach wie vor nur über den alten systematischen Zettelkatalog möglich, weil diese Bücher zwar in NEBIS mit Autor, Titel etc. erfasst, aber nicht thematisch beschlagwortet sind. Aus diesem Grund steht im barocken „Prunksaal“ mit der roten Seidentapete heute nur noch dieser Teil des Katalogs; die weggeräumten Katalogmöbel haben Platz für einen grosszügigen Arbeitstisch gemacht. Dieses letzte Relikt aus dem analogen Katalogisierungszeitalter im ansonsten modernisierten Lesesaal hat also durchaus noch eine Funktion und macht zugleich sichtbar, dass das Sozialarchiv eine Institution mit Geschichte ist, die Entwicklung in die digitale Zukunft aber schon weitgehend vollzogen hat.

Der Korridor: In den Magazinen des Sozialarchivs lagert einzigartiges, wertvolles und auch verblüffendes Material. In den neuen Vitrinen möchten wir Ihnen wechselnde Einblicke in unsere vielfältigen Bestände geben.

Vielleicht weckt das eine oder andere Dokument Ihre Neugier und Sie möchten mehr zu einem Thema erfahren? – Die meisten Dokumente aus unseren Sammlungen können Sie online über unsere Kataloge, Findmittel und Datenbanken bestellen und im Lesesaal einsehen, fast alle Bücher und viele Zeitschriften können Sie auch nach Hause ausleihen. Über Aktualitäten und Neuzugänge in den Abteilungen Bibliothek, Archiv und Dokumentation gibt Ihnen das zweimonatlich erscheinende SozialarchivInfo, der Newsletter oder unsere Website in der Rubrik „Aktuell“ Auskunft, eine Übersicht über die jüngsten Bucherwerbungen finden Sie in der Zuwachsliste. Gerne sind wir Ihnen bei Ihren Recherchen behilflich.

Insgesamt ist der Lesesaal des Sozialarchivs heller geworden – das liegt an der Glaswand im Korridor, aber auch an den aufgefrischten Holzböden und an den neu gestrichenen Wänden. Wir hoffen, dass Sie sich (weiterhin) wohl fühlen bei uns und dass auch Ihnen beim Lesen hie und da ein neues Licht aufgeht…

Ulrike Schelling


Bis auf den Sachkatalog für Bücher bis 1992 haben die alten Zettelkataloge einem grossen Tisch Platz gemacht.


Vor 80 Jahren: Proteste gegen die

Olympischen Spiele in Nazi-Deutschland



An der Eröffnungsfeier der Olympischen Sommerspiele 1936 stand Adolf Hitler im Zentrum der Aufmerksamkeit (SozArch KS 70/15-Z1)

Im Jahre 1936 fanden sowohl die Olympischen Winter- als auch die Sommerspiele im nationalsozialistischen Deutschland statt. Die Ausrichtung der Spiele war noch vor der „Machtergreifung“ nach Garmisch-Partenkirchen und Berlin vergeben worden. Die Nazis waren der olympischen Bewegung gegenüber an sich skeptisch, nutzten die Spiele dann aber als Propagandaanlässe, um der Welt das Bild eines modernen und friedliebenden Deutschland zu vermitteln. Nachdem die Fussball-Weltmeisterschaft 1934 in Italien zu einer Propagandabühne des Mussolini-Regimes geworden war, missbrauchte nun ein weiteres Mal eine faschistische Diktatur den internationalen Sport für ihre Zwecke.

Auf dem Berliner „Reichssportfeld“ wurde von 1934 bis 1936 ein Olympiastadion für 100'000 Zuschauer errichtet. Weiter gehörten zum Gelände das Deutsche Sportforum, ein Schwimmstadion, eine Freilichtbühne, ein grosses Aufmarschgelände, die an den Ersten Weltkrieg erinnernde Langemarck-Halle, ein Glockenturm, die Deutschlandhalle, ein Reiterstadion und weitere Sportanlagen. Das Ensemble atmete bereits den Gigantismus der Planungen für die nie realisierte Reichshauptstadt „Germania“ sowie für das ebenfalls von Albert Speer entworfene „Deutsche Stadion“ in Nürnberg, das nach dem Willen Hitlers mit einem Fassungsvermögen von 400'000 Personen sämtliche Olympischen Spiele ab 1944 hätte beherbergen sollen.


Einladung zu einer internationalen Konferenz der Boykott-Bewegung (SozArch KS 70/16a-Z3)

Als propagandistischer Erfolg erwies sich der erstmals durchgeführte Fackellauf von Olympia nach Berlin, der den Anspruch des „Dritten Reiches“ symbolisieren sollte, in der Gegenwart eine ebenso herausragende Stellung einzunehmen wie das antike Griechentum in der Vergangenheit. Die Idee stammte wahrscheinlich vom Sportfunktionär Carl Diem, der als Generalsekretär des Organisationskomitees fungierte und den Lauf bis ins kleinste Detail plante. Nachdem am 20. Juli 1936 das olympische Feuer um 12 Uhr mittags in den Ruinen von Olympia entzündet worden war, verlief die Stafette über 3'075 km durch insgesamt sieben Länder. In vielen Städten wurden Volksfeste organisiert. Nur in Prag störten antifaschistische Proteste die „Weihestunde“. Auf einer Waldlichtung in der Nähe von Hellendorf inszenierte das deutsche NOK eine Feierstunde der SA mit vielen Nazi-Flaggen. Am 1. August erreichte die Fackel schliesslich Berlin. Unter der Regie von Reichspropagandaminister Goebbels fanden Veranstaltungen mit 20'000 Hitlerjungen und 40'000 SA-Männern statt. Als krönender Abschluss wurde das Feuer im Olympiastadion auf vier Altären entzündet.

Auch punkto Medialisierung der Olympischen Spiele setzten die Nazis neue Massstäbe. Erstmals wurden die Spiele direkt im Radio in 40 Ländern übertragen. Zudem gab es zum ersten Mal Aufnahmen mit Fernsehkameras, die in rund zwei Dutzend Fernsehstuben in Deutschland ausgestrahlt wurden. Von den Winterspielen fertigte die AGFA I. G. Farbenindustrie AG Berlin im Auftrag des „Reichssportführers“ Hans von Tschammer und Osten einen Film für die Verbreitung im In- und Ausland an. 1938 folgte dann Leni Riefenstahls zweiteiliger Propagandafilm „Olympia“ über die Berliner Sommerspiele, der über dreieinhalb Stunden den nationalsozialistischen Körperkult zelebrierte.

Die Olympischen Spiele in der Hitler-Diktatur stiessen indessen im Vorfeld durchaus auf Kritik. Das Foto eines britischen Reporters, das ein Plakat „Juden Zutritt verboten!“ am Vereinshaus des Ski-Clubs Partenkirchen zeigte, sorgte international für Empörung. Die Vereinigten Staaten erwogen einen Boykott der Winterspiele, falls jüdische AthletInnen diskriminiert würden, und St. Moritz, wo bereits die Winterolympiade 1928 stattgefunden hatte, anerbot sich als Ersatzort. Das Internationale Olympische Komitee hielt indessen an Garmisch-Partenkirchen als Austragungsort fest. Um einen Eklat zu vermeiden, liess die deutsche Regierung in der Umgebung von Garmisch-Partenkirchen die Judenverfolgungen einstweilen einstellen und antisemitische Plakate vorübergehend entfernen. Diese Massnahmen zur Beruhigung der internationalen öffentlichen Meinung stiessen bei den lokalen Nazis in Oberbayern auf wenig Gegenliebe, der Natur des Regimes gemäss mussten sie sich aber fügen.

    
Abendunterhaltung des SATUS Wiedikon, die die Olympiade in Nazi-Deutschland verhöhnt (SozArch F 5091-Fx-07-019)

Eine ähnliche Strategie fuhren die Nazis dann auch vor und während der Sommerspiele in Berlin. Bereits im Sommer 1933 hatte es internationale Proteste gegen Olympischen Spiele in der Hauptstadt des „Dritten Reiches“ gegeben. Im Juni 1933 hatte das IOC über eine mögliche Verlegung der Spiele beraten und dann von der neuen deutschen Regierung eine schriftliche Garantieerklärung eingefordert, die Regeln der „Olympischen Idee“ einzuhalten. Dies wurde vom Nazi-Regime umstandslos zugesichert. Dennoch ging die Protest- und Boykottbewegung weiter. Im Dezember 1935 wurde in Paris das „Comité international pour le respect de l’esprit olympique“ ins Leben gerufen. Es bestand aus deutschen Exil-Intellektuellen sowie Vertretern britischer, französischer, niederländischer, skandinavischer, tschechoslowakischer und schweizerischer Boykottkampagnen. In den USA wirkte ein „Committee on Fair Play in Sports“ im selben Sinne. Im Juni 1936 fand in Paris eine „Konferenz zur Verteidigung der Olympischen Idee“ statt, an der der exilierte Schriftsteller Heinrich Mann die Boykottforderung begründete. Seine Rede wurde im Wortlaut unter anderem vom Zürcher „Volksrecht“ abgedruckt. In Amsterdam veranstalteten AntifaschistInnen eine Kunstausstellung mit dem Titel „De olympiade onder dictatuur“. Auch die beiden internationalen Arbeitersportdachverbände, die sozialdemokratische Arbeitersport-Internationale (SASI) und die kommunistische Rote Sportinternationale (RSI), erliessen einen gemeinsamen Aufruf zum Boykott der Spiele.

    
Statt der "Olimpiada Popular" fanden in Barcelona im Sommer 1936 Strassenkämpfe des beginnenden Bürgerkriegs statt (SozArch F 5077-Fc-041 und SozArch F 5077-Fc-039)

Die Boykottbestrebungen scheiterten aber daran, dass sich im Unterschied zu den beiden Boykott-Olympiaden 1980 und 1984 keine wichtige Sportnation dazu durchringen wollte, den Spielen in Berlin fernzubleiben. Lediglich Spanien sagte seine Teilnahme ab. In den Vereinigten Staaten war die Boykott-Bewegung zwar relativ stark. Sie wurde unter anderem von wichtigen Sportverbänden sowie vom Gewerkschaftsdachverband AFL getragen. Avery Brundage, der Vorsitzende der „Amateur Athletic Union“ sowie der amerikanischen Olympischen Komitees und nachmalige IOC-Präsident, war aber ein entschiedener Boykottgegner und organisierte für die entscheidende Abstimmung im amerikanischen Olympischen Komitee eine knappe Mehrheit gegen den Boykott. Die Sowjetunion war zu jener Zeit nicht Mitglied der olympischen Bewegung und entsprechend stand ihre Teilnahme wie bei sämtlichen Olympischen Spielen seit dem Ersten Weltkrieg ohnehin nicht zur Debatte.

Auch in der Schweiz gab es Proteste, die Bundesbehörden bewilligten aber schliesslich die Kredite für die Beteiligung der Schweizer Delegation an den Spielen in Berlin. Der freisinnige Bundespräsident Albert Meyer betonte an einer Rede am Eidgenössischen Turnfest 1936 in Winterthur, das wenige Tage vor der Eröffnung der Olympischen Sommerspiele stattfand, die durch das Turnfest manifestierte „Solidarität der Welt im Kleinen“, gab der Hoffnung Ausdruck, “damit dem Gedanken des Völkerfriedens gerade in der heutigen wirren Zeit einen Dienst zu leisten“, und beklagte, dass „unsere politischen Ideale, die Demokratie [...], die Freiheit [...] manchenorts an Geltung verloren“ und „der Kultus der Gewalt [...] in Europa einen Siegeszug halten“ würde. Expliziter war die Opposition gegen die Spiele in Berlin im schweizerischen Arbeitersport. So verhöhnten etwa SATUS-Vereine die „Hitlerolympiade“ an ihren Veranstaltungen mit theatralischen Darbietungen. Auch plante der SATUS die Beteiligung an der „Olimpiada Popular“ in Barcelona.


Broschüre der internationalen Boykott-Kampagne gegen die Sommerspiele in Berlin (SozArch KS 32/82b-20)

Die InitiatorInnen dieser Gegenolympiade stammten aus den Kreisen der katalanischen Linken. Zu den innerhalb von drei Monaten organisierten Spielen, die 17 Sportarten sowie kulturelle Veranstaltungen umfassen sollten, wurden 6'000 AthletInnen aus 23 Staaten und Kolonien erwartet, darunter deutsche und italienische Exilteams. Aus einigen Staaten wie etwa Frankreich hatten sich auch AthletInnen aus „bürgerlichen“ Vereinen und Verbänden angemeldet. Zwei Tage vor der geplanten Eröffnung begann aber der von Deutschland logistisch unterstützte Putsch der in Spanisch-Marokko stationierten Armeeeinheiten unter General Franco gegen die demokratisch gewählte Madrider Volksfrontregierung, der den Spanischen Bürgerkrieg auslöste. Am vorgesehenen Eröffnungstag war Barcelona Schauplatz blutiger Strassenkämpfe zwischen aufständischen Armeeeinheiten auf der einen und zivilen Sicherheitskräften und eilig aufgestellten Arbeitermilizen auf der anderen Seite. Die Volksolympiade, geplant als Fest des Friedens und der Völkerverbrüderung, konnte nicht ausgetragen werden. Zahlreiche AthletInnen blieben trotzdem in Spanien und schlossen sich dem Kampf für die Republik an. Zu ihnen zählte etwa die Basler Anarchistin und Arbeiter-Schwimmerin Clara Thalmann, die den POUM-Milizen beitrat. Erst im folgenden Jahr konnte die dritte Arbeiter-Olympiade in Antwerpen, an der sich im Zeichen der Volksfront-Doktrin erstmals beide internationalen Arbeitersportdachverbände beteiligten, einen wenn auch schwachen Kontrapunkt zu den Olympischen Spielen unter dem Hakenkreuz setzen.

Christian Koller

Bestände zur Thematik im Sozialarchiv:

Archiv:
  • Ar 468.61.1 Schweizerischer Arbeiter-Turn- und Sportverband SATUS: Internationale Arbeiter-Olympiaden und -Sporttage, Deutsche Turn- und Sportfeste 1922–1935, Tschechoslowakisches Arbeiter-Turnfest in Prag 1928
Archiv Bild und Ton (Bestände, in denen sich audiovisuelle Dokumente zum Frauenstreik befinden):
  • F_5046 Schweizerischer Arbeiter Turn- und Sportverband (SATUS)
  • F_5091 Schweizerischer Arbeiter Turn- und Sportverband (SATUS), Sektion Wiedikon
Dokumentation: Bibliothek:
  • 101551 Alkemeyer, Thomas: Körper, Kult und Politik: Von der „Muskelreligion“ Pierre de Coubertins zur Inszenierung von Macht in den Olympischen Spielen von 1936. Frankfurt/M 1996.
  • 131018 Blecking, Diethelm et al. (Hg.): Sportler im „Jahrhundert der Lager“: Profiteure, Widerständler und Opfer. Göttingen 2012.
  • 67014 Blödorn, Manfred: Der olympische Meineid: Idee und Wirklichkeit der Olympischen Spiele. Hamburg 1980.
  • 67172 Bohlen, Friedrich: Die XI. Olympischen Spiele Berlin 1936: Instrument der innen- und aussenpolitischen Propaganda und Systemsicherung des faschistischen Regimes. Köln 1979.
  • Gr 13805 Helbling, Bruno (Hg.): Olympic realities: Sechs Städte nach dem Grossanlass. Basel 2015.
  • Gr 8077 Hoffmann, Hilmar: Mythos Olympia: Autonomie und Unterwerfung von Sport und Kultur: Hitlers Olympiade, Olympische Kultur, Riefenstahls Olympia-Film. Berlin 1993.
  • Gr 13746 Hübner, Emanuel: Das Olympische Dorf von 1936: Planung, Bau und Nutzungsgeschichte. Paderborn 2015.
  • Hf 9403 Jahnke, Karl Heinz: Gegen den Missbrauch der olympischen Idee 1936: Sportler im antifaschistischen Widerstand. Frankfurt/M 1972.
  • 124412 Koller, Christian: Transnationalität: Netzwerke, Wettbewerbe, Migration, in: ders. und Fabian Brändle (Hg.): Fussball zwischen den Kriegen: Europa 1918–1939. Münster/Wien 2010, S. 37-64.
  • 70108 Krüger, Arnd: Die Olympischen Spiele 1936 und die Weltmeinung: Ihre aussenpolitische Bedeutung unter besonderer Berücksichtigung der USA. Berlin 1972.
  • 67718 Mandell, Richard: Hitlers Olympiade Berlin 1936. München 1980.
  • 100494 Rürup, Reinhard (Hg.): 1936: Die Olympischen Spiele und der Nationalsozialismus: Eine Dokumentation. Berlin 1996.
  • 132789 Peiffer, Lorenz: Sport im Nationalsozialismus: Zum aktuellen Stand der sporthistorischen Forschung: Eine kommentierte Bibliografie. Göttingen 2015.
  • 98032 Pujadas, Xavier und Carles Santacana: Le mythe des jeux populaires de Barcelone, in: Arnaud, Pierre (Hg.): Les origines du sport ouvrier en Europe. Paris 1994, S. 267-277.
  • 45161 Surén, Hans: Mensch und Sonne: Arisch-olympischer Geist. Berlin 1936.
  • 52266 Thalmann, Paul: Wo die Freiheit stirbt: Stationen eines politischen Kampfes. Olten/Freiburg 1974.
  • 84097 Tolleneer, Jan et al.: Antwerpen 1937: Die dritte Arbeiter-Olympiade, in: Teichler, Hans-Joachim und Gerhard Hauk (Hg.): Illustrierte Geschichte des Arbeitersports. Bonn 1987, S. 223-225.
  • 109807 Ulmi, Nic: Solidarité avec les „communards“ des Asturies et préparatifs pour l'Olympiade populaire, in: Cerutti, Mauro et al. (Hg.): La Suisse et l'Espagne de la République à Franco (1936–1946). Lausanne 2001, S. 209-227.
  • 131325 Wahlig, Henry: Sport im Abseits: Die Geschichte der jüdischen Sportbewegung im nationalsozialistischen Deutschland. Göttingen 2015.
  • 102980 Wildmann, Daniel: Begehrte Körper: Konstruktion und Inszenierung des „arischen“ Männerkörpers im „Dritten Reich“. Würzburg 1998.
  • 57697:1 Wohlrath, Gerhart: Als Arbeitersportler zur Volksolympiade nach Barcelona, in: Maassen, Hanns (Hg.): Brigada Internacional ist unser Ehrenname… : Erlebnisse ehemaliger deutscher Spanienkämpfer, Bd. 1. Frankfurt/M 1976. S. 54-59.
Periodika:
 
  • N 3334 Platten, Fritz N.: Der Kampf gegen die Hitler-Olympiade im Jahre 1936, in: Tages-Anzeiger-Magazin 22 (1980), S. 6-12, 44.
  • D 3076/S SATUS Sport, 1932–1994.
  • N 1003 Volksolympiade gegen Hitlerolympiade: Die Volksolympiade von Barcelona, in: Rundschau 5 (1936). S. 1176.



Festabzeichen der Arbeiter-Olympiade 1937 in Antwerpen (SozArch F 5046-Oa-002)
 
 

Veranstaltungen und Kooperationen des Schweizerischen Sozialarchivs

 

Veranstaltungshinweise
 



Dienstag/Mittwoch, 13./14. September 2016

„Historie als feministisches Argument“

Symposium zum 70. Geburtstag von Elisabeth Joris und zum dreissigjährigen Erscheinen des Buchs „Frauengeschichte(n)“

Universität Bern



Erlebte Schweiz:

Wohnen in der Stadt – Trautes Heim und Mieterstreik

Bewegte Bilder aus der Geschichte des städtischen Wohnens in der Schweiz, von Expertinnen und Experten kommentiert

Donnerstag, 15. September 2016, 18.00 Uhr: Winterthur, Kino Cameo
Donnerstag, 22. September 2016, 19.00 Uhr: Zürich, Kino Xenix
Mittwoch, 28. September 2016, 20.15 Uhr: Affoltern am Albis, LaMarotte
Mittwoch, 19. Oktober 2016, 18.30 Uhr: Luzern, Bourbaki Kino
Mittwoch, 9. November 2016, 19.30 Uhr: Baden, Royal
Montag, 14. November 2016, 18.30 Uhr: Basel, Stadtkino
Mittwoch, 16. November 2016, 20.00 Uhr: Bern, Lichtspiel

Gast im Sozialarchiv:

Die Reihe "Gast im Sozialarchiv" wird im Herbst mit der vom Historiker Erich Keller konzipierten Veranstaltungsserie "Popmusik, Archiv, Geschichte" fortgesetzt.
 

Buchempfehlungen der Bibliothek:



Ben Rawlence: Stadt der Verlorenen – Leben im grössten Flüchtlingslager der Welt. München 2016.

(Signatur: 133693)

Im Rahmen der Berichterstattung über die Flüchtlingskrise in Europa wurde im Mai dieses Jahres bekannt, dass die kenianische Regierung das grösste Flüchtlingslager der Welt, Dadaab, schliessen will. Rund 300‘000 Menschen wohnen dort, viele bereits seit der Gründung des Lagers vor 25 Jahren, andere wurden gar dort geboren. Es sind hauptsächlich Somalis, die vor Bürgerkrieg, islamistischen Shabaab-Milizen und Hunger geflohen sind.

Der britische Menschenrechtsaktivist und Autor Ben Rawlence hat sechs Einwohner von Dadaab begleitet und berichtet vom Leben in der Flüchtlingsstadt, in der die Leute neben dem Kampf gegen die Armut auch ein alltägliches Leben führen, Geschäften nachgehen, Schulen besuchen oder Fussball spielen.


Roberto und Linda Donetta mit ihren Kindern Brigida und Saulle, 1905-1910 (© Fondazione Archivio Fotografico Roberto Donetta, Corzoneso)

Peter Pfrunder, Gian Franco Ragno (Hrsg.): Roberto Donetta – Fotograf und Samenhändler aus dem Bleniotal. Zürich 2016.
(Signatur: 133772)

Die Fotostiftung Schweiz in Winterthur zeigt momentan in einer eindrücklichen Ausstellung die Fotografien des Tessiners Roberto Donetta (1865-1932). Donetta fristete sein Leben während einer Zeitspanne von dreissig Jahren als wandernder Fotograf und Samenhändler und hinterliess nach seinem Tod rund 5‘000 Glasplatten, die nur durch Zufall erhalten sind. Sie dokumentieren auf präzise und einfühlsame Weise das archaische Leben der Menschen im damals noch abgeschotteten Valle di Blenio und den langsamen Einzug der Moderne.

In einer Epoche des Umbruchs wurde Donetta zu einem einzigartigen Chronisten, verstand sich aber gleichzeitig als Künstler. Als Autodidakt experimentierte er mit grosser Freiheit und wusste sein Medium virtuos einzusetzen. Seine Bilder sind eindringlich und humorvoll, heiter und todernst – ob sie nun Kinder, Familien, Hochzeitspaare, Berufsleute, den harten Alltag von Frauen und Männern oder den Fotografen selbst zeigen.

> Die Ausstellung in der Fotostiftung in Winterthur läuft noch bis zum 4. September 2016.



Cover der ersten Nummer von „Avenue – Das Magazin für Wissenskultur“ zum Thema „Wir Cyborgs. Zwischen Mensch & Maschine“, erschienen Anfang Juni 2016.

Avenue – Das Magazin für Wissenskultur
(Signatur: D 6055)

„Wir Cyborgs“ – so lautet das Thema der ersten Nummer des neuen Schweizer Magazins „Avenue – Das Magazin für Wissenskultur“. Corinna Virchow und Mario Kaiser trotzen der vielbeschworenen Zeitschriftenkrise und wollen in ihrem Organ populärwissenschaftliche Themen aus den Geistes- und Sozialwissenschaften verhandeln. Aussergewöhnlich ist das Vorgehen des Basler Paars: Die Inhalte des Magazins werden zunächst mit Open Access ins Netz gestellt, wo die Artikel kommentiert und kritisiert werden können; erst danach erscheint deren definitive Version mitsamt Kommentaren im gedruckten Heft.
 
Der Anfang ist gelungen. Die erste, 124 Seiten starke Nummer vermag zu überzeugen: Das Schwerpunktthema wird in den Rubriken „Leben & Denken“, „Kritiken & Berichte“, „Studium & Uni“ sowie „Forschung“ beleuchtet – neben einem Interview mit Klaus Theweleit über den technologischen Menschen findet sich ein Artikel von Sascha Dickel über die Beziehungsprobleme zwischen Mensch und Maschine oder eine Kritik zu Spike Jonzes Film „Her“. Vielversprechend lauten auch die Themen der nächsten beiden Ausgaben: Hochstapler und Pornografie.
 
> Website: www.avenue.jetzt
 
Susanne Brügger
 



Neuanschaffungen

Auch im Januar und Februar 2016 haben wir unseren Bestand weiter ausbauen können. Zu den Neuerwerbungen zählen in diesen Monaten Bücher, Zeitschriften u.a. Hier finden Sie eine komplette Auflistung aller aktuellen Neuerwerbungen - Mai / Juni 2016.

Möchten Sie sich selbst einen Überblick über unsere stetig wachsende Sammlung verschaffen, so können Sie auf unserer Homepage die Suche Ihren genauen Bedürfnissen anpassen.

Gibt es etwas, was wir noch nicht haben? Kennen Sie einen Geheimtipp, den wir unbedingt in unser Angebot aufnehmen sollten? Wir freuen uns über Ihren Anschaffungsvorschlag.
 



Graue Online-Dokumente: Neues Angebot der Sachdokumentation


Die digitale Revolution betrifft sämtliche Lebensbereiche, und spätestens seit Anbruch des 21. Jahrhunderts haben auch die klassische Broschüre auf Papier, das analoge Flugblatt und der handliche Flyer Konkurrenz durch neue elektronische Informationsformate bekommen. In den letzten fünfzehn Jahren haben dann digitale Online-Dokumente gegenüber herkömmlichen Print-Publikationen zusehends an Terrain gewonnen: Die Information über elektronische Kanäle wurde immer günstiger und das damit adressierte Publikum wuchs markant. Parteien, NGOs, Gewerkschaften, Think-tanks, soziale und politische Bewegungen, Bürgerinitiativen, Abstimmungskomitees etc. publizieren und mobilisieren deshalb heutzutage parallel und komplementär: Viele Broschüren und Flugschriften existieren sowohl in gedruckter als auch in elektronischer Form, manche Dokumente nur als Print, andere jedoch ausschliesslich elektronisch.
 
Für eine Gedächtnisinstitution wie das Sozialarchiv bedeutet dieser mediale Wandel, dass die Abteilung Dokumentation ihre Sammelstrategie und Speichertechnik den neuen Informationsmedien anpassen musste. Publikationen, die nur elektronisch erscheinen, wurden in den letzten gut zehn Jahren als Übergangslösung auf Papier ausgedruckt und in dieser Form archiviert. Es war aber immer klar, dass es das Ziel sein muss, diese Dokumente in ihrer originären Form zu sammeln und zu archivieren – also elektronisch. Nach einer längeren Projekt- und Entwicklungsphase ist es nun seit Februar 2016 soweit: Im Sozialarchiv können originär elektronische Dokumente im PDF-Format abgespeichert und langzeitarchiviert werden. Die Erschliessung mit Metadaten geschieht entsprechend ebenfalls elektronisch, der Zugang für die Benutzenden erfolgt online über die bereits bestehende Datenbank Sachdokumentation.
 
Neben den Schachteln mit gedruckten Broschüren/Flugschriften und den Schachteln mit Zeitungsausschnitten gibt es in der Datenbank Sachdokumentation neu also eine dritte Rubrik „Digitale Schriften“ (DS). Darin werden die zu einem Thema gesammelten elektronischen Dokumente gelistet.
  • Zur schnelleren Identifikation der PDF sind von den erfassten Metadaten Urheberschaft und Titel (oder, falls nicht vorhanden, eine aussagekräftige Beschreibung) aufgeführt.
  • In zwei weiteren Kolonnen stehen die Signatur der einzelnen Schriften sowie deren Datierung (Jahr plus – falls bekannt – Monat und Tag).
  • Damit die wachsenden Listen der Digitalen Schriften nicht unübersichtlich werden, lassen sie sich mit einem Zeitraumregler sowie mit einer Suche nach Begriffen filtern.
  • Bei Klick auf Titel/Beschreibung (rot als Link gekennzeichnet) öffnet sich die Detailansicht des Dokuments mit allen dazugehörigen Metadaten links und einer Browser-Vorschau auf das PDF rechts.
  • Beim Download wird vor das Dokument standardmässig ein Deckblatt gehängt, welches das bezogene PDF identifiziert (mit Signatur und Permalink) und Hinweise zu den Nutzungsbestimmungen und zur Zitierweise enthält.
Neu sammelt und archiviert die Dokumentation des Sozialarchivs also ebenfalls parallel und komplementär: einerseits wie bisher gedruckte Broschüren und Flugschriften (Quellenschriften/QS) und andererseits elektronische Dokumente in Form von PDF (Digitale Schriften/DS). Dies gilt beispielsweise auch für die politische Propaganda im Zusammenhang mit eidgenössischen Volksabstimmungen, die sämtlich in der Datenbank Sachdokumentation einzeln ausgewiesen werden. Um sowohl die digitalen als auch die analogen Schriften zu einer Abstimmungsvorlage zu konsultieren, bestellen Benutzer/innen wie bisher online die entsprechende(n) Schachtel(n) in den Lesesaal. Mit einem Klick auf die gewünschte Abstimmung in den Zusatz-Informationen zur Schachtel öffnet sich zusätzlich eine Liste der Digitalen Dokumente zu dieser/diesen eidgenössischen Vorlage/n.
Damit ist das Sozialarchiv bei der Überlieferungssicherung von digitalen Dokumenten sozialer Bewegungen und politischer Organisationen wieder einen Schritt weiter, und wir freuen uns, wenn das neue Angebot grauer Online-Dokumente – vorerst beschränkt auf Dokumente im PDF-Format – auch den Bedürfnissen der Benutzenden entgegenkommt. Es bleibt jedoch nicht zu vergessen, dass viel interessante und brisante Information nach wie vor in den physisch aufbewahrten Quellen schlummert – auch da gibt es immer noch viel zu entdecken!

Ulrike Schelling
 

Aktuelles aus der Abteilung Bild und Ton:

Ein Vierteljahrhundert politische Kommunikation von rechts -
Die Plakate der Werbeagentur GOAL


Vor rund einem Jahr ist die Werbeagentur GOAL von Dübendorf nach Andelfingen umgezogen. Im Vorfeld kontaktierte uns Alexander Segert und offerierte dem Sozialarchiv das Plakatarchiv der Agentur. GOAL? Segert? – Richtig! Die Werbeagentur, die hauptsächlich für die SVP tätig ist, trennte sich von einem Vierteljahrhundert aufsehenerregender politischer Werbung. Fast 500 Wahl- und Abstimmungsplakate sind nun online (Bestand SozArch F 5123).

1994 lancierte die SVP im Wahlkampf den Slogan „Das haben wir den Linken und den ‚Netten‘ zu verdanken: mehr Kriminalität, mehr Drogen, mehr Angst“. Zusammen mit der schemenhaften Illustration einer dunklen Messerstecher-Gestalt, die eine Frau bedroht, gilt das Plakat als Zäsur in der neueren Geschichte helvetischer Politpropaganda. Die SVP (mit ihrem damaligen Werber Hans-Rudolf Abächerli) lotet seither aus, was im politischen Aushandlungsprozess auf Plakatwänden zulässig ist.


"Ivan S., Vergewaltiger und bald Schweizer Bürger? - Nein zum Gegenentwurf, Ausschaffungsinitiative Ja". – Plakat zur Abstimmung über die Ausschaffungsinitiative (2010)

1995 erhielt Alexander Segert von der Werbeagentur GOAL den Auftrag, für die SVP zu werben, und pflegt seither in Abächerlis Fussstapfen einen Propagandastil, der regelmässig für rote Köpfe, volle Leserbriefspalten und „Arena“-Diskussionen sorgt und bisweilen sogar zu Gerichtsprozessen führt. Segert perfektionierte die Methode, mit massiver Komplexitätsreduktion und gezielten Tabubrüchen die bis anhin behäbige politische Diskussionskultur in der Schweiz zu pulverisieren. Die Kampagnen seiner Agentur dominieren die politischen Auseinandersetzungen und erreichen mit ihrer markanten Bildsprache auch noch die hintersten Winkel des Landes.

Noch 1985 hatte Willy Rotzler in seinem Standardwerk zum politischen Plakat („Politische und soziale Plakate in der Schweiz“) notiert: „Gerade das politische Plakat ist ein Gradmesser für die Virulenz des politischen Lebens, für die freie Meinungsäusserung und die Fairness oder Rücksichtslosigkeit in der politischen Auseinandersetzung. Wer in der Schweiz vor wichtigen Wahlen oder Abstimmungen die Plakatlandschaft durchwandert, darf sich über die Lebendigkeit, die Intensität, den Aufwand freuen, womit Volksentscheide vorbereitet werden.“ Segert und die SVP vertrieben die Schweiz gründlich aus dieser politischen Komfortzone. Fortan grapschten dunkle Hände nach dem Schweizerpass (2004) oder Minarette überzogen das Land so dicht wie ein Raketenwald (2009).


Plakat zur Abstimmung über die Minarett-Initiative (2009)                        


Plakat zur Abstimmung über die Finanzierung der AHV/IV durch Anhebung der Mehrwertsteuersätze (2004)

Im „Schäfli“-Plakat (2010) schliesslich erreicht die Agenturarbeit einen Höhepunkt ihres Schaffens: formal und farblich perfekt vereinfacht und gezeichnet in einer überall verständlichen Bildsprache braucht es nicht mal mehr einen cleveren Slogan. Die weissen Schafe befördern den schwarzen Artgenossen mit einem Tritt aus dem Gehege: „Ausschaffungsinitiative JA“. Das Plakat war dermassen erfolgreich, dass es im Ausland Nachahmer und Kopisten fand – nicht zur Freude der Agentur, die dagegen rechtliche Schritte unternahm. Und wichtiger noch: Die Kampagne überzeugte das Schweizer Stimmvolk, das der Initiative zustimmte.

Die Motivwahl der SVP ist vielerorts eingehend beschrieben und diskutiert worden. Ob gierige rote Ratten (SozArch F 5123-Pe-123, 2004) oder destruktive Raben (SozArch F 5123-Pe-191, 2009): Die Botschaft ist immer eindeutig und lässt keinen Interpretationsspielraum offen. Die politisch klare Stossrichtung verbunden mit emotionaler Aufladung und einer Abwertung des gegnerischen Standpunkts sind verantwortlich für die enorme Wirkkraft der Plakate. Sind Menschen im Spiel, handelt es sich um den unsympathischen, südländisch inszenierten Proletentypen Ivan S., der dank leichter Untersicht noch bedrohlicher wirkt (SozArch F 5123-Pe-025, 2010) oder um die gefährlich mit den Augen blitzende Frau im Nijab (SozArch F 5123-Pe-157, 2009). Die Kampagnen schüren Emotionen, stacheln Ressentiments an und spielen mitunter auch auf der xenophoben Klaviatur. Sie reizen mit ihrer Dreistigkeit regelmässig den Spielraum des gesetzlich Erlaubten aus und legitimieren dies, indem sie sich auf die vox populi und diffuse Ängste in der „Schweizer Bevölkerung“ berufen, die sonst vom politischen Establishment ignoriert würden.

Die Diskussionen, welche die GOAL-Plakate auslösen, sind in der Regel politisch unergiebig. Angesichts der Motivwahl verflüchtigt sich jede inhaltliche Auseinandersetzung über das zur Debatte stehende Thema. Es dominieren Geschmacksfragen und die Debatte, ob dieser Propagandastil auf die Schweizer Plakatwände gehöre. Auffällig ist, dass trotz der durchschlagenden Erfolge der meisten SVP-Kampagnen (wenn auch weniger an der Urne als bei der Dominanz der Debatten im Vorfeld) sich kaum andere Parteien oder Agenturen den an sich einfach zu kopierenden Stil aneignen. Ob Unwillen oder Unfähigkeit dahintersteckt – im Bildgedächtnis der letzten zwei Jahrzehnte blieb kaum ein bürgerliches oder sozialdemokratisches Abstimmungsplakat hängen.


Plakat zur stadtzürcherischen Abstimmung über das Nagelhaus-Projekt am Escher-Wyss-Platz (2010)


Plakat zur Abstimmung über die Ausdehnung des Freizügigkeitsabkommens auf Bulgarien und Rumänien (2009)


Plakat zur stadtzürcherischen Abstimmung über „Polikliniken für die betäubungsmittelgestützte Behandlung schwer drogenabhängiger Menschen“ (2004)


Plakat zur Abstimmung über die Ausdehnung des Freizügigkeitsabkommens (Vertrag Schengen/Dublin, 2005)

Die GOAL-Plakate ergänzen den Bestand an politischen Plakaten im Sozialarchiv, der seit den 1980er Jahren gepflegt und laufend ergänzt wird. Momentan sind weit über 3‘000 Plakate von 1894 bis in die Gegenwart digitalisiert und erschlossen. Sie stammen von politischen Parteien jeder Couleur, aber natürlich auch von sozialen Bewegungen, Interessengruppen und Verbänden.

Stefan Länzlinger


Kantonalzürcherische Wahlen 1991: Im Gegensatz zu den Abstimmungsplakaten bleiben die Wahlplakate ganz dem Mainstream verpflichtet: Man präsentiert lächelnde Konterfeis.
 

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