Die letzten Wochen waren in deutschen Medien geprägt vom Streit zwischen CDU und CSU. In dieser Auseinandersetzung ist im Kern nicht wichtig, wer sich durchsetzt, sondern ob es auch in Zukunft eine Europäische Union ohne Grenzkontrollen gibt und wie wir mit Menschen, die vor Krieg und Not nach Europa fliehen, umgehen. Was Seehofer vorhat, würde eine Kettenreaktion auslösen. Nicht nur Deutschland, sondern auch die umliegenden Staaten müssten demnach wieder dauerhaft Grenzkontrollen einführen, was das defacto Ende des Schengenraumes wäre, also dem europäischen Raum ohne Grenzkontrollen. Die Mitgliedstaaten im Mittelmeerraum wären mehr denn je auf sich allein gestellt.
Wenn die CSU nicht zurückrudert, wird die Regierung an diesem Unionsstreit zerbrechen - denn es geht um zwei unvereinbare Konzepte: nationaler Alleingang oder europäische Lösung.
Ich begrüße, dass beim Migrationsgipfel in der letzten Woche eine europäische Einigungen trotz nationalistischer und populistischer Blockadeversuche zustande kommen konnte. Richtig ist zum Beispiel die stärkere Bekämpfung von Fluchtursachen.
Allerdings sind die Beschlüsse lückenhaft, einige gar kontraproduktiv. Der Gipfel hat etwa zum wichtigsten flüchtlingspolitischen Thema leider wieder keine Vereinbarung gebracht. Die europäischen Staats- und Regierungschefs müssen sich auf eine Reform der gemeinsamen Asyl- und Migrationspolitik einigen, wie sie die wichtigsten Fraktionen im Europäischen Parlament bereits erarbeitet haben - allen voran ein Update der mangelhaften Dublin-Regeln. Die Europäische Union braucht ein funktionierendes und humanes Migrationssystem anstelle der nationalen verantwortungslosen Alleingänge, wie Rechte wie Viktor Orbán, Sebastian Kurz, Markus Söder oder Matteo Salvini sie predigen. Die Schaffung neuer Aufnahmezentren in EU-Ländern mag auf den ersten Blick sinnvoll wirken. Doch wenn die Zentren tatsächlich geschaffen werden, braucht es auch klare Zusagen, Schutzbedürftige auf Basis einer fairen Verteilung in ganz Europa aufzunehmen.
Die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten im Europäischen Parlament haben schon 2015 ihre Strategie für die Herausforderungen der weltweiten Fluchtbewegungen festgelegt. Nach wie vor bin ich der Meinung, dass ein europäischer und solidarischer Weg der einzige ist, der aus humanitärer und politischer Sicht zielführend ist.
Als erstes müssen schutzsuchende Menschen solidarisch auf alle europäischen Mitgliedstaaten verteilt werden. Damit würden Länder wie Italien nicht länger allein gelassen, würde Geflüchteten eine menschenwürdige Unterbringung gewährt und eine zu große Belastung einzelner Mitgliedstaaten vermieden. Außerdem müssen legale Wege in die Europäische Union geschaffen werden, um Schleppern das Gewerbe zu entziehen, Menschen zu schützen und Migrationsbewegungen besser steuern zu können. Beschleunigte Asylverfahren können dann dazu beitragen, die Situation in Erstaufnahmeeinrichtungen zu verbessern und ihre Aufenthaltsdauer dort zu verringern.
Auch die Integration schutzbedürftiger Personen muss verbessert werden, um für sie möglichst schnell ein selbstständiges Leben in der Europäischen Union zu ermöglichen.
Nicht zuletzt müssen wir auch die Bekämpfung von Fluchtursachen zu einem Schwerpunkt unserer Arbeit machen. Damit sich Menschen nicht gezwungen sehen, ihre Heimat zu verlassen, müssen Außen-, Handels- und Entwicklungspolitik ineinandergreifen und finanziell angemessen ausgestattet werden. Die Lebensbedingungen der Menschen müssen direkt vor Ort verbessert werden, um Fluchtursachen zu beseitigen.
Die aktuellen Herausforderungen erfordern europäische Solidarität und Zusammenarbeit.
Die Mitgliedstaaten tragen eine gemeinsame Verantwortung und müssen geschlossen handeln.