Weil wir sehen, was wir wollen
Der klassische Journalismus hat es in Zeiten von Social Media nicht leicht und wird vielfältig hinterfragt und diskutiert. Dabei taucht auch immer wieder die Frage auf, wie zeitgemäßer Journalismus berichten soll und darf: Als reiner Faktenjournalismus, der nur berichtet, was nachweislich exakt so passiert ist, oder als Meinungsjournalismus, der eine Einordnung, eine Bewertung, einen Kommentar und letztlich eine Meinung mitliefert. Und natürlich gibt es dazwischen auch eine »Mixed Zone«, mit vielen Formen, die näher am einen oder am anderen Extrem liegen.
Mehr Erfolg im Netz scheinen derzeit eher die Formen zu haben, die in Richtung Meinungsjournalismus gehen: Der Leser wird geduzt, die Autoren schreiben in Ich-Form, geben sozusagen Erlebnisberichte ab und tun zumindest so, als seien sie einfach nur Teil der Community, für die sie schreiben.
Etliche Leser nervt das aber auch. Sie wünschen sich klare, belastbare Faktenberichte, die auch mit einer gewissen Distanz geschrieben wurden. Die Meinung wollen sich diese Leser lieber selbst bilden.
Wie objektiv und neutral muss also ein Artikel sein, wie weit kann er das überhaupt? Darüber gehen die Meinungen schon seit sehr langer Zeit auseinander. Und dabei spielen viele Aspekte eine Rolle: Sind reine Faktensammlungen interessant und gut lesbar? Ist es letztlich nicht sogar ehrlicher und vom Leser besser einzuordnen, wenn der Autor mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg hält?
Einen weiteren Aspekt, den man dabei vielleicht auch nicht außer Acht lassen sollte, wollen wir Ihnen mit einem kleinen, sofort ganz leicht durchführbaren Selbstexperiment vor Augen führen.
Versuchen Sie doch mal, ohne Hilfsmittel ihre eigene Nase zu betrachten. Sie werden feststellen, dass das mit nur einem Auge besser geht.
Der einseitige Blick zeigt also scheinbar mehr, aber er zeigt eben auch nur eine Seite. Versucht man es mit beiden Augen, stellt man fest, dass einen ganz offensichtlich schon das eigene Hirn beschummelt: Die für andere unübersehbare Nase wird sozusagen in der Selbstbetrachtung weggerechnet, weil ihr Anblick für uns selbst im Normalfall nicht wichtig ist.
Wenn wir als Menschen also schon bei so banalen Dingen keinen wirklich objektiven, neutralen Blick hinbekommen, wie soll dann wirklich neutrale, objektive Berichterstattung möglich sein?
Was bleibt, ist das Bemühen, möglichst objektiv zu berichten, die Fakten darzulegen. Oder eben nicht. Diese Wahl trifft jeder selbst.
Sie werden sehen.
Christine Gebhard, Gerd Voigt-Müller