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"Laden wir Podcasts nicht mit Erwartungen auf, die kaum zu erfüllen sind.
Ambitioniert, aber realistische Ziele bei Verbreitung, Einnahmen und Wachstum helfen, ebenso ein Blick auf langfristigen Erfolg."

- Marc Krüger, Voice-Redakteur t-online.de, auf Twitter
Und damit: Hallo zur 16. Newsletter-Ausgabe von Hören/Sagen!
Ausgabe 16
 
- Platzt gerade eine Podcast-Blase - erst in den USA, dann in D? 3 deusche Podcast-Labels antworten
- Hörtipp: 'The Shadows' von 'CBC' 
- Link-Sammlung: Nüchterne Analysen gegen die Pod-o-kalypse-Panik
'Buzzfeed News' in den USA hat sein Podcast-Team entlassen. An dieser Meldung vom 'Wall Street Journal' war kein Vorbeikommen in den vergangenen Tagen. Davor hatte Panoply - der Podcast-Arm von 'Slate.com - angekündigt, sich von der Podcast-Produktion zu verabschieden, wie Nick Quah vom 'Hot Pod'-Newsletter berichtet hat. Auch Audible hat in den USA im August ein Dutzend Stellen im Podcast-Bereich abgebaut. Also: Drei relativ junge Podcast-Abteilungen von großen Medienunternehmen sind weg. Hui.

Was dann folgte: "Die Blase platzt", "Überangebot", "Der Boom ist vorbei", "Der Hype ist zu Ende". Tweets. Threads. Thinkpieces. Erst in den USA, kurze Zeit später auch bei uns. Die Medienbubble halt, zumindest der sehr aufgeregte Teil. Zugegeben: Es hat ja schon Signalwirkung, wenn ein Unternehmen wie Buzzfeed einfach mal eine ganze Podcast-Abteilung rausschmeißt.

Und jetzt bitte einmal tief durchatmen.

Punkt 1: Wir haben bei deutschen Medienunternehmen nie die Dynamik und Risikofreude gesehen, die es in den letzten Monaten und Jahren bei den US-Medien gab. Das ist zwar auch traurig, hat aber den Vorteil: Wo nicht viel gewachsen ist, kann auch nicht viel geschrumpft werden. Bei Buzzfeed haben sechs, sieben Leute vollzeit im 'Podsquad' gearbeitet. Ich wüsste kein deutsches Medienunternehmen, das ein so großes Team nur für Podcasts hat und kein Radio ist.

Punkt 2: Mir kommt die Panik und die Fokussierung auf Buzzfeed sowieso sehr selektiv vor: Panoply produziert zwar keine Podcasts mehr, setzt aber voll auf sein Geschäft mit Podcast-Infrastruktur. Bei Audible sind Podcasts sowieso schon immer als Zusatzangebot zum Hörbuchangebot dazugewachsen.

Ach ja, und dann ist ja doch der Rest der Medienwelt: Die 'New York Times' verdient mit 'The Daily' sogar Geld, 'Vox Media' vergrößert sein Podcast-Angebot, kaum ein halbes Jahr nachdem der Nachrichten-Podcast 'Today Explained' gestartet wurde, 'Gimlet Media' lebt immer noch und liefert regelmäßig neue Podcasts (Randnotiz für alle Heavyweight-Fans: Neue Staffel ab heute, 4.10.), und und und...

Und jetzt nehmen wir den Gedanken-Dampfer von New York nach Berlin.
Was drei deutsche Podcast-Firmen sagen
'Was hältst du vom "Ende des Podcast-Trends"? Was bedeuten die Signale aus den USA für den deutschen Markt - wenn sie denn überhaupt etwas bedeuten? Welche Entwicklungen siehst du gerade im deutschen Podcast-Markt?

Das sind die drei Fragen, die ich an drei Menschen aus drei unterschiedlichen Podcast-Firmen gestellt habe: An Susanne Klingner von 'hauseins', Maria Lorenz von 'Pool Artists' und Nicolas Semak von Viertausendhertz.

Grundstimmung bei allen zur Buzzfeed-Meldung und dem herbeibeschworenen Anfang vom Ende der Podcasts: Tiefenentspannt. Warum?

Susanne Klingner, hauseins:
"Mich überrascht das ehrlich gesagt nicht, dass da jetzt sortiert wird. Ich bekomme jetzt nicht Angst, dass in Deutschland alle denken: 'Oh Gott, in den USA kracht da etwas zusammen, wir sollten mal lieber hier die FInger von Podcasts lassen.' Der US-Markt ist ja einfach auch sehr, sehr groß geworden in den letzten Jahren und da muss sich an einem gewissen Punkt etwas neu sortieren. Jenna Weis-Berman, die Chefin von Pineapple Street Media, hat zum Beispiel getwittert - und ich glaube, damit hat sie sehr recht: 'What's happening in podcasting is simple: places that take audio content seriously, resource it well, and have a good strategy in place are thriving; places that don't are folding.'"

Maria Lorenz, Pool Artists:
"Ich glaube, dass das nichts damit zu tun hat, dass der Hype vorbei ist. Jetzt beginnt ein Prozess, der auch stattfinden muss und auch bald in Deutschland stattfinden wird: Die einen oder anderen bemerken, dass sie sich entweder überschätzt haben oder sich zu weit weg von ihrem eigentlichen Geschäftsmodell entwickelt haben, oder aber auch gemerkt haben, dass es ihrer eigentlichen Marke nicht gut tut oder sie nichts davon haben. Es gibt ja wirklich tausenderlei Gründe. Podcasts haben einen vergleichsweise niedrigschwelligen Einstieg, zumindest empfindet man es erstmal so. Aber wenn man keinen mittel-langen Atem hat, macht es auch keinen Sinn. Weil es am Ende doch viel Arbeit, Zeit, Kraft, Kreativität und Freude ist, die man da reinstecken muss."

Nicolas Semak, Viertausendhertz:
"Ich habe das Gefühl, das ist so eine Medien-Meta-Diskussion, die mit der Realität, die wir so im Berufsalltag haben, relativ wenig zu tun hat. Natürlich sieht man in den USA, dass da auch Geld in die Hand genommen wurde, auch Risikokapital. Das sind Situationen, die wir so in Deutschland noch gar nicht haben. Jetzt die Schlussfolgerung zu ziehen, dass da ein Medium an seinem Ende wäre, kann ich überhaupt nicht nachvollziehen, besonders wenn man die deutsche Entwicklung betrachtet. Ich glaube, das ist eine Frage, die hier gar keine Relevanz hat und mit der wir uns als Label gar nicht beschäftigen, ehrlich gesagt."
Case closed, würde ich sagen. Wobei da noch die Frage bleibt: Was kommt in Deutschland, wenn wir schon von der Podcast-Apokalypse aus den USA verschont bleiben?

Maria Lorenz, Pool Artists:
"In der aktuellen ASS-Hörerumfrage kann man lesen, dass von den 70 Millionen Über-14-Jährigen in Deutschland 56% Podcasts kennen. Das heißt: Da gibt's noch wahnsinnig viele Ecken, Ebenen und Winkel, in denen noch Ohren, Zeit und Hörer versteckt sein können. Und nur 15% hören wöchentlich. Das heißt, da ist wirklich noch wahnsinnig viel Kapazität für neue Podcasts."

Nicolas Semak, Viertausendhertz:
"Was ich erkenne: Gerade im Amateur-Bereich gibt es ganz viele neue Formate. Das ist ja fast so, dass man einen Instagram-Account hat und dann hat man gleich auch noch einen Podcast. Das bildet sich auch in den iTunes-Charts ab. Und ich glaube, in dem Bereich wird es auch eine Konsolodierung geben."

Susanne Klingner, hauseins
"Die Nische der Plauderpodcasts wird tatsächlich gerade sehr voll, habe ich das Gefühl. Viele Formate kann man kaum noch voneinander unterscheiden. Was früher zwei Männer waren, die über Technik sprachen, sind jetzt zwei Frauen, die über Sex reden. Also da ähneln sich viele Formate und da kann ich mir vorstellen, dass bald auch eine Sättigung eintritt. Aber der gesamte Bereich hochproduzierter, schön erzählter Podcasts ist eigentlich noch relativ klein in Deutschland, da geht noch einiges. Dafür braucht's aber Geld. Der Anzeigenmarkt entwickelt sich in Deutschland nur sehr langsam. Da brauchen alle Akteure, die nicht den einen großzügigen Finanzier im Rücken haben, einen langen Atem."
HÖRTIPP/REZENSION
Solange bei den Doku-Podcasts die Flut der erwartbaren Boulevard-True-Crime-Serien weiter anhält, kann man sich ja nur in die Fiktion retten. Zumindest tue ich das als Hörer gerade immer häufiger. Kaitlin Prest hat auch das Genre gewechselt: Ihr dokumentarischer und Prix-Italia-gekrönter Podcast 'The Heart' beim Podcast-Netzwerk Radiotopia ist still/eingestellt, dafür hat sie beim kanadischen CBC jetzt ihre erste (halb-)fiktionale Serie 'The Shadows' veröffentlicht, die über sechs Folgen die Geschichte einer Beziehung erzählt. Prest hat maximale Freiheit bei CBC bekommen - und das hört man dem Podcast an.

Die erste Episode zeichnet die Biografie der Protagonistin nach, die zufällig auch Kaitlin heißt und springt dabei durch Zeiten, Lebensabschnitte und Orte bis zur ersten Beziehung von Kaitlin. Was ich mag, ist das wilde Skizzen- und Collagenhafte der Erzählung. Das Gegenteil vom fast schon pädagogischen Erzähl-Ansatz vieler Storytelling-Podcasts, der immer überbemüht ist, niemanden zu verlieren.

Eine Ebene der ersten Episode ist die Ich-Erzählung, die klingt wie an einen guten Freund adressiert. Dann ein Szenensprung. Ergänzt mit Gedanken-Einschüben. Szenensprung. Gemischt mit irgendwie nicht-immer-gut-aber-trotzdem-liebenswert-geschauspielerten Dialogen. Musik. Szenensprung. Atmosphäre. Und. Ja. Das. Tempo. Ist. Wirklich. So. Hoch.

Dazu das tolle, raue Nicht-Hochglanz Audio-Design, das durch Aufnahmetechniken und Stereoeinsatz für ganz viel Intimität sorgt: Ich habe das Gefühl, eher "im Kopf" zu hören. Oder im Kopf der Erzählerin zu sein und vergesse dabei, dass nur Kopfhörer auf meinen Ohren sitzen. 'The Shadows' ist Fiktion, hyper-realistisch aufgenommen und deswegen nicht nur inhaltlich hyper-intim, sondern auch für die Ohren: Es wird teilweise geflüstert, geatmet, geraschelt, gekeucht - immer sehr nah am Mikrofon und damit sehr intensiv auf den Ohren der Podcast-HörerInnen.

Kurz: Wer ASMR-Videos auf Youtube nicht aushalten kann, wird den Podcast nicht schaffen. Und verpasst den ganzen Ohrenschmaus.

Webseite: https://www.cbc.ca/radiointeractives/podcasts/the-shadows
iTunes: https://itunes.apple.com/de/podcast/the-shadows/id1420121326?mt=2
Pocket Casts*: http://pca.st/shadows

*Ja, ich habe mich endlich aufgerafft und will mich langsam von der Apple Podcasts App auf meinem Smartphone verabschieden.
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LINKS
Kleine Bitte: Ich versuche an dieser Stelle sinnvolle Links zu kuratieren und die Spreu vom Weizen zu trennen. Das ist wirklich zeitaufwendig, weil ich dafür leider beides lesen muss. Deswegen würde ich mich umso mehr über einen kleinen Hinweis auf den Newsletter freuen, wenn die Links bei Twitter geteilt werden.
  • Nick Quah vom 'Hot Pod'-Newsletter war zu Gast im Tech-Podcast 'If/Then' von Slate.com und analysiert dort nochmal den aktuellen (US-)Podcast-Markt. Einer seiner Punkte: Vielleicht gab es auch eine Erwartungs-Blase unter vielen Medien, die dachten, mit Podcasts könnten mit wenig Aufwand viele Probleme gelöst werden.
     
  • In die selbe Richtung argumentiert Mathew Ingram bei cjr.org. Schönes Bild: "Podcasting was supposed to be one of the saviors of digital media—inexpensive, addicting, profitable, and popular. But now it’s like the old line from baseball legend Yogi Berra: “That place is so popular, no one goes there any more.”
     
  • "The Rumors of Podcasting’s Death Have Been Greatly Exaggerated", schreibt Eric Nuzum bei Medium - der bisher für die Audible Originals Podcasts in den USA zuständig war und davor bei NPR gearbeitet hat. Seine Analyse zoomt aus dem Tagesgeschäft heraus und argumentiert einerseits, warum er einen Goldrausch statt einer Blase sieht - und entwarnt andererseits, dass das Medium Audio schon immer unverwüstlich war.
     
  • Wer (nochmal) hören statt lesen möchte: Über die angeblich platzende Podcast-Blase habe ich auch schon letzte Woche bei 'Eine Stunde Was mit Medien' von Deutschlandfunk Nova gesprochen. (Wie immer die Anmerkung: Das Deutschlandradio ist mein Arbeitgeber.)
     
  • Zur deutschsprachigen Resonanz auf die Buzzfeed-Podsquad-Entlassungen gehört dieser Beitrag bei 'Werben und Verkaufen': "Wir verstopfen uns den Markt mit Produktionen auf Kaffeeklatsch-Niveau". Mich hat die Überschrift angezogen, der Inhalt aber dann enttäuscht. Mehr als das Zitat von Digitalberater Alex Wunschel muss man nicht lesen. #savedyouaclick
     
    • "Wir verstopfen uns hier aktuell den Markt durch halbherzige Produktionen, Interview-Marathons auf Kaffeeklatsch-Niveau oder niederschwelligen Dirty-Talk-Formaten auf Dr. Sommer-Niveau. Und verkrampfen dabei mit gierigem Blick auf Reichweiten. Wenn wir hier endlich über Werbewirkung anstatt TKPs diskutieren würden, dann stünden die Kosten für gute Podcast-Produktionen auch in einem anderen Licht."
       
  • 'Top of the Pods'. Zeit Online hat jetzt anscheinend eine Podcast-Kolumne, zumindest gibt es eine richtige Serien-Seite dafür (unter Kultur übrigens). Bisher stehen dort nur zwei Teile, der erste stammt noch aus dem Mai und dürfte einigen Audio-Nerds noch in Erinnerung sein, da es aufgrund der - sagen wir - speziellen Kuration einige Kritik daran auf Twitter gab. Die aktuelleren Empfehlungen von Mitte September sind halt die üblichen, unstrittigen Verdächtigen.
     
    • Für mich sind Podcast-Kolummnen bei Medienhäusern immer ein Indiz, wie ernst die Redaktion das Medium nimmt. Denn wer nur seine eigene Arbeit hört, kann nichts ernsthaft empfehlen. Und wer anderswo Hörerfahrung sammelt, verbessert seine eigene Audio-Arbeit. Leider hat sich das bloß noch nicht überall rumgesprochen. ¯\_(ツ)_/¯
       
  • "Spotify for Podcasters" ist (als Beta-Version) gestartet und damit öffnet sich die Musik-Streaming-Plattform (weiter) für PodcasterInnen. Großer Schritt für alle, die bisher nicht dabei sein konnten. Wer bereits Podcasts auf Spotify hatte, findet die neue Einreichen-Funktion unten links in der Analyse-Übersicht - und wird sehen, das sonst alles beim alten geblieben ist.
     
  • Zum Schluss ein kleines Listicle: "10 Signs Of A Daring Public Radio Station" zählt transom.org auf. Im Prinzip ein Plädoyer für mehr Mut, dass sich nicht nur Radios zu Herz nehmen können. (Ja, ich weiß, Transom.org empfehle ich fast in jeder Ausgabe. Liegt aber daran, dass es wirklich eine fantastisch inspirierende Seite ist.)
Das war's für die sechszehnte Ausgabe des Hören/Sagen-Newsletters.
Alle bisherigen Ausgaben gibt es im Archiv

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