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Ich werd' die schlechtesten Sprayer dieser Stadt engagieren
Die sollen nachts noch die Trümmer mit Parolen beschmieren
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Good evening, Europe!

Nachdem ich zu Beginn der Corona-Pandemie ja bewusst auf Nachrichten und Twitter verzichtet hatte, bin ich als trockener News-Junkie in den letzten Wochen extrem rückfällig geworden: Die Situation in den USA mit allen Entwicklungen der Black-Lives-Matter-Demonstrationen und kulturellen Umbrüchen interessiert mich gerade so sehr, dass es Tage gab, an denen ich erst stundenlang Podcasts und Sondersendungen vom National Public Radio gehört habe, um den Abend dann mit ein paar Stündchen CNN zu beschließen, was nun wirklich schon zum härteren Stoff gehört.

Ihr habt sicherlich mitbekommen, dass in den USA, aber auch in Großbritannien, Statuen von Personen (okay, sagen wir, wie's ist: Männern) abgebaut wurden (mal offiziell, mal eher inoffiziell), deren Verdienste in der Rückschau angesichts ihrer zeitgleich begangenen Verbrechen und Gräueltaten eher verblassen. Auch in Deutschland wird über das Thema diskutiert (und in Berlin demnächst ein „Humboldt-Forum“ eingeweiht).

Hedwig Richter, Professorin für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität der Bundeswehr in München, hat sich in einem sehr lesenswerten, sehr differenzierten Gastbeitrag für „Spiegel Online“ mit den Statuen und den durch sie zu ehrenden Personen auseinandergesetzt und kommt zu dem Schluss/Wir-Sind-Helden-Zitat: „Hol den Vorschlaghammer!“
 



In meiner Nachbarschaft gibt es das sogenannte Löwendenkmal, auf dem ein verwundeter steinerner Löwe und die Aufschrift „Der Überzahl erlegen, Im Geiste unbesiegt“ (immerhin nicht „im Felde“) wenig subtil an die Glorie deutscher Soldaten im 1. Weltkrieg erinnern soll. In den 1980er Jahren gab es erst Bestrebungen, dieses Militaria-Memorabilia abreißen zu lassen, ehe es dem Denkmal dann tatsächlich handgreiflich an den Sockel ging. Eine Sonderkommission der Stadt kam schließlich 1990 auf die Idee einer weiteren Schrifttafel: „Dieses Denkmal  - errichtet 1928 zur Verherrlichung des Heldentodes und des Krieges - ist uns heute Mahnung zur friedlichen Verständigung unter den Völkern!“

Ich finde diesen Lösungsansatz an der konkreten Stelle okay — auch, weil das Denkmal jedes Jahr von den Abiturient*innen der daneben gelegenen Schiller-Schule dekoriert und damit aufs neue „entweiht“ wird. Aber es ist auch „nur“ ein Löwe, der als Bildspender für eine antiquierte Idee steht, keine konkrete Person, die dort gewürdigt wird. Wer als Person ein Denkmal bekam, an den sollten wir als Gesellschaft noch höhere Maßstäbe anlegen — und auch durchaus (Danke für Deinen „Das war halt damals so!“-Einwand, Klaus-Dieter!) heutige Maßstäbe. 

Der Neoliberalismus hat dafür gesorgt, dass wir es für normal halten, Menschen einmal im Jahr in „Entwicklungsgesprächen“ auf ihre Performance zu überprüfen, da sollten wir Leute, denen unsere Vorfahren Ehrungen haben zukommen lassen, durchaus alle paar Jahrzehnte auch mal kritisch abklopfen — und uns darüber im Klaren sein, dass das in Zukunft mit uns natürlich genauso passieren wird.

Dafür haben wir in Bochum noch unseren Bismarckturm und natürlich, wie vielerorts, ein ganzes Viertel voller Blücher-, Roon-, Molte- und weiterer Generäle-Straßen.

Hedwig Richter schreibt dazu:

Warum sollten die Straßen im Herzen der Städte sämtlich nach großen Monarchen verflossener Reiche und nach Generälen vergangener Schlachten heißen – oder wie im Fall der Mohrenstraße nach rassistischen Phantasien? Warum den Hindenburg-Damm statt nach einem Feind der Demokratie nicht nach Hedwig Dohm benennen, dieser brillanten Autorin und Kämpferin für Gleichheit? Gewiss nicht alle, aber einige der Wilhelm-, Karl-, Friedrich- und Ludwig-Straßen könnten nach der großen Komponistin Emilie Mayer genannt werden - oder nach der Juristin Elisabeth Selbert, die ins Grundgesetz jenen verblüffenden Satz gefügt hat: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“

Solche gesamtgesellschaftlichen Inventuren haben nichts mit „Geschichtsvergessenheit“ zu tun. Natürlich spielen diese Menschen in den Geschichtsbüchern weiterhin eine Rolle, aber bitte eben in zukünftigen Ausgaben eine, die deutlich differenzierter betrachtet wird!
 



„The past is told by those who win“ ist eine Zeile aus dem Song „Futures“ von Jimmy Eat World, von der ich hätte schwören können, dass es eigentlich ein jahrhundertealtes Zitat eines großen Philosophen ist. Ich selbst habe erst durch das Hörbuch „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten“ von Alice Hasters (s.a. letzter Newsletter) verstanden, dass Wissenschaft, vor allem Geschichtsschreibung, kein objektiver Prozess ist, sondern eigenen Weltbildern und Narrativen folgt, also auch dem, was man selbst gelernt hat.

Ich habe mich danach durch „Exit Racism“ von Tupoka Ogette (ebenfalls als Hörbuch auf Spotify) gehört, das thematisch größere Überschneidungen mit dem Buch von Alice Hasters hat, aber auch über einen „interaktiven Teil“ verfügt, in dem man sich als Hörer*in selbst hinterfragen kann.
 



Man macht sich ja als weißer Mensch (noch dazu: Mann) keine Vorstellung, wie allgegenwertig Alltagsrassismus ist. Auf dem Instagram-Account „wasihrnichtseht“ werden jede Menge Beispiele gesammelt und veröffentlicht, die sehr, sehr bedrückend sind (und auch kein gutes Licht auf unser Schulsystem werfen).

Und dann war da natürlich noch dieser „Brennpunkt“ in der „Carolin Kebekus Show“, in dem BIPOC von ihren Erfahrungen mit Alltagsrassismus in Deutschland erzählen: 

Man kann da jetzt, ganz ähnlich wie bei der Sendung „Männerwelten“, für die Joko und Klaas Sendeplatz freigeräumt hatten (s.a. letzter Newsletter),  natürlich anmerken, dass inzwischen offenbar Entertainer*innen ein besseres Gespür für die wichtigen Themen in unserer Gesellschaft haben als Talkshow-Redaktionen. Dagegen lässt sich schwer etwas sagen (gegen Talkshows wie „Hart aber fair“ oder „Maischberger. Die Woche“ hingegen sehr, sehr viel), aber ich glaube, es ist auch noch mal etwas anderes, wenn solche Themen ein Publikum in einem Umfeld erwischen, in dem es eher auf Unterhaltung aus war: die Wirkung ist größer und das Publikum auch (es gibt ja auch im deutschen Fernsehen sehr ergiebige Talkshows und Dokumentationen, die noch nicht mal alle auf abseitigen Sendeplätzen versteckt werden und trotzdem kaum geschaut werden).
 



Womit wir bei Jon Stewart wären: Den bewundere ich seit vielen Jahren, seit ich zum ersten Mal eine Ausgabe der „Daily Show“ gesehen habe (und zwar an Bord eines Flugzeugs von Oakland nach New York City im Live-TV, was mich auch 14 Jahre und einige technologische Revolutionen später immer noch völlig fasziniert). Ich habe den Präsidentschaftswahlkampf 2008 durch die Augen (bzw. die Bilder) der „Daily Show“ verfolgt und wollte seitdem auch eine Fernsehsendung machen, die die mediale Ventilation von Themen, vor allem von Politik, dokumentiert und zerlegt (wobei die medialen und politischen Unterschiede zwischen den USA und Deutschland vielleicht so groß sind, dass man das wirklich nicht adäquat übersetzen kann). Außerdem hat er sich 2015 nach 16 Jahren mit Anfang fünfzig von der „Daily Show“ verabschiedet, was ein Move ist, der so vielen Mediengesichtern (zumeist ja dann doch: Männern) gut tun würde, weil sie damit Raum machen können für neue Leute und man sie vielleicht sogar vermisst (was in den USA natürlich auch wieder einfacher ist, weil Talkshowredaktionen z.B. irgendwie größere Datenbanken haben und deshalb mehr und unterschiedliche Gäste einladen können, aber ich schweife ab).

Das Magazin der „New York Times“, jedenfalls, hat ein langes Interview mit Jon Stewart geführt. Es geht (natürlich) um die aktuelle politische Situation in den USA, die Folgen von daueralarmierten Medien („Twenty-four-hour news networks are built for one thing, and that’s 9/11. There are very few events that would justify being covered 24 hours a day, seven days a week. So in the absence of urgency, they have to create it. You create urgency through conflict.“), seinen neuen Film, sein Leben, fünf Jahre nach dem Abschied bei der „Daily Show“, und Schlagzeugspielen als das Gegenteil von Tod.
 



Was macht der Garten? Die ärgsten Feinde unserer Pflanzen heißen: Schnecken und Die Arbeiter von der Wohnungsbaugesellschaft. An offene Beete und Blumenwiesen ist jedenfalls nicht zu denken. In den Töpfen wächst aber alles ganz gut.
 
Was hast Du gehört? Die neuen Alben von Bob Dylan (Spotify, Apple Music) und Example (Spotify, Apple Music), aber jeweils nur einmal. Inzwischen öfter: „Fetch The Bolt Cutters“ von Fiona Apple (Spotify, Apple Music), ein erst etwas sperriges, dann aber doch sehr warmes und umarmendes Album.

Was hast Du gelesen? Wenn wir über Polizeigewalt sprechen, ist Chase, der hilfsbereite, freundliche Polizist (und Schäferhund) aus der beliebten Kinderserie „Paw Patrol“ (deren Titelsong gerade im Kopf aller Eltern abläuft, you're welcome!) dann Teil des Problems? Amanda Hess hat für die „New York Times“ darüber geschrieben, dass Polizist*innen in Fernsehserien entweder übertrieben gut sind oder - noch schlimmer - mehr als fragwürdig handeln, aber trotzdem am Ende als „die Guten“ gelten.

Was hast Du gesehen? Bei Disney+ haben wir in den letzten Wochen „Planes“, „Planes 2“ und „Findet Nemo“ geschaut, bei Amazon Prime Video habe ich endlich mal „Lady Bird“ gesehen. Der Film von Greta Gerwig über eine junge Frau kurz vor dem High-School-Abschluss, die mit ihrer Familie hadert und ihren Platz in der Welt sucht, ist so rundherum großartig, anrührend und charmant, dass ich ihn am Liebsten direkt noch mal von vorne geguckt hätte.

Was hast Du gelernt? Wenn Du den Deckel einer Tupper-Dose auf Deinen Herd legst, sei Dir sicher, dass er an dieser Stelle kalt ist!
Im August kommt nach acht Jahren endlich ein neues Album von Kathleen Edwards!
Stay positive, Euer Lukas

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