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Liebe Leserin, lieber Leser,

In der Türkei treten Staatsbedienstete nicht in Erscheinung gegenüber der Presse. Genauer gesagt treten sie nur denjenigen Journalisten gegenüber, die sie mögen. Und diese stellen Fragen, die darauf gerichtet sind, die von den Befragten gewollte Antwort zu erhalten, wie zum Beispiel „Woher schöpfen Sie Ihre Energie?“

Letzte Woche haben wir gesehen, wie in einem richtigen Interview die mächtigen Flügel des Staates ihre Federn verloren haben. Tim Sebastian von der Deutschen Welle, der den Sprecher Erdoğans İbrahim Kalın hostete, führte ein Interview, von dem viele Journalisten in der Türkei nur träumen können.

Hätte er diese Fragen in der Türkei gestellt, wäre es unmöglich gewesen Festnahme oder sogar Lynchjustiz zu entkommen. So zum Beispiel hat die regierungsnahe Zeitung Akit das Interview wie folgt bekannt gegeben: „Auf der Nachrichtenseite Deutschlands, dem führenden der westlichen Länder, die die Terroristen beschützen und finanzieren, wurde der Sprecher des türkischen Präsidenten bedroht.“ 

Das, was die Zeitung als „Bedrohung“ bezeichnet, waren folgende Worte Sebastians an Kalın: „Sie haben für eine gülenistische Zeitung gearbeitet. Haben Sie über den Drehtüreffekt nachgedacht? Wenn die nächste Regierung gewählt wird, werden Sie vielleicht verurteilt.“ Kalın, der sagte, dass es „in der Türkei jede Art von Meinungsfreiheit [gäbe]“, müsste man eigentlich fragen, wie er es sich erklärt, dass es zuvor keinen einzigen Journalisten gegeben hat, der ihm diese Frage von Angesicht zu Angesicht stellen konnte. In den letzten fünf Jahren wurden die Presseausweise von 3.804 Journalisten, die diese Frage hätten stellen können, annulliert. Die Türkei ist mit einem Massaker an journalistischer Arbeit konfrontiert, Informationen sind kaum noch zu erhalten.

Kalın versuchte im Interview die Entlassung von mehr als 125.000 Bürokraten nach dem Putschversuch in der Türkei mit einem Beispiel in der deutschen Geschichte zu rechtfertigen. Er erinnerte daran, dass nach der Wiedervereinigung Ost- und Westdeutschlands 500.000 Menschen entlassen worden seien. Dass er die „Säuberungsaktion“ der Regierung, die auf die Säuberung aller Oppositionellen zielte, mit der Vereinigungsoperation zweier getrennter Staaten vergleicht, ist ein Unglück. Vielleicht kann ihm ein deutscher Beauftragter erklären, wie die Verbindung der Ostdeutschen, von denen die Rede ist, zur alten Regierung aufgedeckt wurde, unter welchen Bedingungen sie entlassen wurden und welche bis heute reichenden Folgen diese Operation hatte. Dass auch er den Rechtsstaat eines Tages brauchen wird, steht nämlich fest.

Beste Grüße,

Ihr
Can Dündar

ÖZGÜRÜZ
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