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Werte Leserschaft, verehrte Damen und Herren! Gestatten Sie?
Ich heiße Euch herzlich willkommen, diese von mir verfassten Zeilen zu lesen. Und während ich mir weitere höfliche Anredeformeln überlege, mögt Ihr vielleicht denken: Was soll das nun bitte? Hat 'die Wallnerin' gestern den Knigge als Bett-Lektüre gelesen? Nun, ich möchte euch dazu eine kurze Geschichte erzählen:
Neulich saß ich in der Straßenbahn, für alle Linzer: Bim. Neben mir ein älterer Herr, die Zeitung lesend. Rundherum lauter grantige Gsichter. Ja, ich weiß, das ist eine Interpretation und diese sollte unterlassen werden ... Aber weiter: Eine griesgrämige Menschenansammlung im Eisenwurm, Köpfe zum persönlichen Bildschirm geneigt, die Ohren mit Stöpseln verschlossen, Mundwinkel weit nach unten. Die Linzer Kommunalverwaltung könnte überlegen, die Bim in Geisterbahn umzutaufen. Wäre vielleicht ein Marketing-Gag.
Zurück zu dem Herrn neben mir. Als er sich den Weg zur Türe bahnen möchte, lächelt er mich freundlich an und sagt: "Gestatten Sie!". In meinem Hirn und Herz ein innerer Freudentanz. "Gestatten Sie!" Wie lange habe ich das schon nicht mehr gehört oder selbst gesagt! Wie schön es ist, wenn man so aufmerksam und höflich behandelt wird!? Meine Laune, die vorher in der grau-grantigen Masse zu versumpfen drohte, hob sich augenblicklich. Es ist mir dann wie Schuppen von den Augen gefallen, wie schön ehrlich gemeinte Aufmerksamkeit sein kann. Was es mit mir macht, wenn sich jemand Zeit für würdevolle Worte nimmt. Ich finde, wir haben es uns viel zu sehr angewöhnt, uns kurz zu halten, möglichst effizient zu sein, unsere Sprache mit all ihren Facetten verkümmern zu lassen. Vielleicht, um möglichst nicht aufzufallen. Vielleicht, um nicht anzuecken. Wir verwenden standardisierte Floskeln und dann kürzen wir diese auch noch ab. Wir sparen Zeit und kommunizieren möglichst rasch und effizient: Mfg, lg, hdl, glg, lol, usw.
Ich nehme mir daher tunlichst vor, ab sofort noch mehr Höflichkeit Einzug halten zu lassen. Mir Zeit zu nehmen für wunderbare, fantasievolle, freudige, kritische und ernste Gedanken. Mich einzulassen auf höfliche Selbstgespräche und auf intensive Kommunikation mit meinen Mitmenschen. Ich möchte den Momenten mehr Würde und Ausdruck verleihen. Denn davon bin ich mehr als überzeugt: Wir tun uns selbst und allen etwas Gutes, wenn wir der Achtsamkeit, der Konzentration, der Freundlichkeit, der Fantasie und dem Mut in Gedanken, Sprache und Taten wieder mehr Stellenwert geben.
In diesem Sinne:
Habt einen feinen guten Morgen, Tag und Abend!
Es grüßt höflichst und herzlichst,
Linda
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1./2. Mai 2020
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