Einblicke in das Reich Gottes in Brasilien
Zurzeit lebe ich in New York und stelle fest, wie viel Auswahl man für ein einfaches Frühstück haben kann: Rührei oder gekochte Eier, gelbes oder weißes Omelett, Apfel oder Banane, Naturjoghurt oder Fruchtjoghurt, Vollkornbrot oder Weißbrot, schwarzen Kaffee, Milchkaffee oder Cappuccino, mit weißem Zucker, braunem Zucker oder ohne Zucker.
Wir mögen es, Wahlmöglichkeiten, Präferenzen und Optionen zu haben. Doch wenn es um unseren Auftrag geht, können wir uns da wirklich aussuchen, wem wir dienen? Ich bin sicher, dass wir alle unsere Vorlieben haben – ich habe meine! Wenn ich könnte, würde ich gerne Musik machen, mit Jugendlichen arbeiten oder das Evangelium durch Theaterstücke verkündigen.
Vorlieben sind nichts Schlechtes, doch wir leben in einer gefallenen Welt, in der alles und jeder betroffen und verletzt ist. Daher kommt es, dass Kinder in Favelas (Slums), Notunterkünften, Kriegsgebieten und Waisenhäusern aufwachsen. Haben sie sich das ausgesucht? Was ist mit den Opfern von Menschenhandel, mit Verwitweten und Flüchtlingen? Ich bin sicher: Wenn sie könnten, würden sie sich eine solche Situation nicht aussuchen.
Ungerechtigkeit ist erbarmungslos. Wer bin ich also, mir auszusuchen, in welcher Art von Mission ich mich einbringen sollte? Wenn wir davon sprechen, Gottes Reich auf die Erde zu bringen, haben wir nicht das Recht, wählerisch zu sein. Wir müssen gemäß unserem Auftrag handeln, „menschlicher Not ohne Ansehen der Person zu begegnen“. Mit anderen Worten, wir können uns nicht aussuchen, wem wir dienen.
Als ich zur Heilsarmeeoffizierin bestallt und ordiniert wurde, hatte ich eigene Vorstellungen, wie mein Auftrag aussehen würde, doch ich war herausgefordert, ihn mir nicht auszusuchen. So hatte ich in meiner ersten Bestallung letztlich nicht mit Musik und Jugendlichen zu tun, sondern mit Kindern. Ich musste kämpfen, damit sie eine bessere Bildung und wenigstens eine gute Mahlzeit am Tag bekommen konnten. Jetzt bin ich in meiner zweiten Bestallung und habe wieder eine andere Aufgabe. Ich arbeite in einem Stadtviertel mit vielen älteren Menschen, die von ihrer Familie, vom System und von der Gesellschaft vernachlässigt werden. Also kämpfen wir als Heilsarmee mit ihnen.
In der Stadt, in der ich arbeite, leben einige Flüchtlinge aus Haiti. Und obwohl ich nie daran gedacht hatte, mit diesen Menschen zu arbeiten, sind sie diejenigen, die uns jetzt brauchen. Wir haben also gemeinsam mit unserem Heimbund und dem Nachbarkorps einige freiwillige Helfer zusammengesucht und damit angefangen, Kurse in Portugiesisch, Backen und Nähen anzubieten. Wir haben eine Tagesstätte für ihre Kinder eingerichtet und jeden Samstag kommen die Familien in unser Zentrum zu einem gemeinsamen Mittagessen und um Grundfertigkeiten zu lernen. Zusätzlich bieten wir Fürsprache und Rechtsberatung an, damit sich die Leute besser auf das Leben in Brasilien einstellen können.
Durch diese Gruppe habe ich erfahren, dass es sich niemand aussucht, Flüchtling zu sein – sie fliehen, um zu überleben. Wer bin ich also, mir die Menschen auszusuchen, denen ich dienen will? Ungerechtigkeit sieht an jedem Ort anders aus, doch sie ist überall. Durch meine Arbeit bekomme ich oft einen Einblick, wie Gottes Reich auf die Erde kommt.
Wenn es um unseren Auftrag geht, stehen wir vor einer Entscheidung. Wir können ignorieren, was in unserer Nachbarschaft vor sich geht, und in einer schönen Illusion leben, oder wir können uns mit den Problemen und Fällen von Ungerechtigkeit befassen, die vor unserer Haustür geschehen. Das kann alles Mögliche sein: Gewalt gegen Frauen, Waisenkinder, Fremdenhass, Menschenhandel, Hunger, Selbstmord.
Ich bete für uns, dass unsere Augen weit offen sind, damit wir sehen – nicht nur das, was wir sehen wollen, sondern auch das, was Gott uns zeigen will. Und ich bete, dass wir, wenn wir sehen, auch den Mut haben, uns bewusst einzubringen, so einzubringen, dass Gottes Reich durch unser Leben, unsere Mission und unsere Armee auf die Erde kommt.
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