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Wie melde ich mich zurück, so nach anderthalb Jahren Funkstille?
Mit dem audioaffinen Mikrofon-Witz: "Is this thing still on?"
Mit einem lapidaren "Long time, no see"? Mit einem augenzwinkerndem "Rumours of my death have been greatly exaggerated"? Ich habe lange darüber nachgedacht. Zu lange. Genauso un-entscheidungsfreudig bin ich auch bei der Frage, woran die lange Pause genau lag.
Es ist wohl eine Mischung gewesen aus einerseits einer Schreibblockade, durch eigenen und fremden Erwartungsdruck. Andererseits war es auch schlicht eine Zeit- und Prioritätenfrage, die bei so einem freiwilligem Nachtschicht-Projekt auch nicht ganz unrelevant ist: Schlafen oder Newsletter-Schreiben?  ¯\_(ツ)_/¯

Was nichts daran ändert, dass ich den Newsletter selber vermisst habe.
Und damit: Hallo zur 20. Newsletter-Ausgabe von Hören/Sagen!
Ausgabe 19
 
- Die (Nicht-)Überraschung: "Das deutsche Serial" ist ein nerdy Gesprächspodcast zu einem Wissenschaftsthema
- Die Podcast-Gretchenfrage: Sag mir, wie hältst du es mit den Plattformen?
- Linkliste: Auch anderthalb Jahre später polarisiert Joe Rogan noch immer (No Shit Sherlock!); Audio auf Plattformen und Plattformen auf dem Audio-Trip; mein Podcast des Jahres 2020
Ich würde lügen, würde ich behaupten, in den letzten Jahren nicht häufiger über diese Frage nachgedacht zu haben:

"Was ist die deutschsprachige Entsprechung des popkulturellen Erfolgsmoments, den der US-True-Crime-Podcast 'Serial' hatte? Und wann kommt das in Deutschland endlich an?"
 
(Übrigens: Hallo an die lieben neuen Newsletter-Abonennt*innen, die in den letzten Wochen und Monaten neu dazugekommen sind. Ja, ich zitiere hier häufiger mal so ur-alten Quatsch, das ist normal.)

Ich hatte vermutet, hatte persönlich gehofft, dass das vielbeschworene "deutsche Serial" auch ein Stückchen erzählerischer Journalismus sein würde, der hierzulande ganz viel lostritt. Hatte vermutet, hatte gehofft, dass es eher kommen würde. 2019 alllerspätestens, um ehrlich zu sein. Dieser Moment, in dem Podcasts so richtig abheben.

Aber wenn wir im Jahr 2020 eine Sache gelernt haben, dann: Dass immer alles anders kommt, als wir denken. In diesem verrückten Jahr ist "Das deutsche Serial" endlich da. Es heißt "Das Coronavirus-Update", ist ein nerdy Gesprächspodcast über Wissenschaft und kommt von einer öffentlich-rechtlichen Infowelle. Alles daran ist überraschend. Nichts daran ist überraschend.

Von Viralität und Superspreader-Events

Wie komme ich zu der steilen These? Meine Hauptargumente sind zwei absolut unfehlbare Quellen: Erstens, Google Trends und zweitens, persönliche anekdotische Evidenz.

Auftritt Google Trends: Lass ich mir das "Interesse im zeitlichen Verlauf" für die Suchbegriffe "Podcast" und "Drosten" für die vergangenen fünf Jahre in Deutschland anzeigen, dann sieht das verdammt nach den Suchbegriff-Interessen von "Podcast" und "Serial" in den USA zwischen 2011 und 2015 aus.

Dazu noch meine anekdotische Evidenz: Meine Großeltern wissen von diesem Podcast. Meine Eltern wissen von diesem Podcast. Ach ja, und Ines weiß auch von diesem Podcast. Ines ist meine großartige Friseurin. Als ich ihr vor anderthalb Jahren erklärte, was mein Job ist, konnte sie eher mehr mit "Ich arbeite bei einem Radiosender" anfangen und eher weniger mit "Ich kümmere mich um Podcasts". Bei meinem ersten Friseur-Besuch mit Maske in diesem Jahr erzählte mir Ines im Sommer dann ganz stolz, dass sie jetzt auch diese Podcasts hört. Nämlich den Drosten-Podcast.

Es ist heutzutage schwer, einen popkulturellen Moment zu verpassen. In der Regel weiß man, dass er passiert – selbst wenn man das auslösende Moment verpasst hat. So wie auch diejenigen glückseligen Menschen mitbekamen, dass "Game of Thrones" endete, die Westeros nie in ihr Wohnzimmer gelassen hatten. Was wirklich popkulturell groß und wichtig ist, geht viral. Dafür sorgen die Schlagzeilen, die Zitate, die Referenzen und Anspielungen, die Verwertungen, die digitalen Memes, die analogen Gespräche. Alles Superspreader-Events, die sich gegenseitig aufschaukeln.

Selbst wer "Das Coronavirus-Update" nicht gehört hatte, wusste spätestens im April von dessen Existenz. Auch wer "Serial" in den USA nicht gehört hatte, wusste in der Hochphase Ende 2014/2015, dass es existierte. Das war der größte singuläre Sichtbarkeitsschub für das Medium Podcast in den USA damals. Ich denke, das selbe Moment haben wir gerade in Deutschland erlebt.

Der Drosten-Podcast – und was darin besprochen wurde – ist Ende März zum absoluten Gesprächsthema in Deutschland geworden. Drostens Mini-Anekdote beispielsweise, warum er lieber Flaschenbier statt Gezaptes in der Bar bestellt, dürften mittlerweile die meisten kennen. Die unfreiwillige Prominenz des Wissenschaftlers Drosten mitsamt seiner Überforderung damit und Genervtheit davon – das ist übrigens nicht unähnlich mit dem, was Sarah Koenig damals in die Öffentlichkeit zurückspiegelte.

Natürlich bin ich mir bewusst, dass diese Puzzlestücke einzeln ziemliche Argumentationskrücken sind. Zusammengenommen überzeugen sie mich aber: Wir haben im März den Popkultur-Moment eines deutschen Podcasts erlebt. Mein eigentlicher Hauptpunkt ist aber die Analogie zu "Serial" damals: "Das Coronavirus-Update" dürfte zahlreiche Menschen in Deutschland das erste Mal mit der Begrifflichkeit "Podcast" in Kontakt gebracht haben.

Was (nicht) überrascht. Und: Was bleibt?

Eigentlich ist es gar nicht so überraschend, dass "das deutsche Serial" eben kein "Serial"-Klon ist. (Nochmal Glück gehabt.) Denn einerseits lässt sich Viralität nicht im selben Umfang reproduzieren, was sich an ungefähr allen "Serial"-Kopien zeigte und an Coronavirus-Update-Kopien zeigt. Der Drosten-Podcast fügt sich aber sowieso gut in den deutschen Podcast-Markt, war und ist die deutschsprachige Podcast-Landschaft immer noch sehr gesprächig geprägt. Wissenschaftsinhalte mit Bildungsaspekten erfreuen sich schon immer großer Beliebtheit. Der Hang zum Nerdtum war schon immer da. Insofern ist es eigentlich keine Überraschung, dass eines der beliebtesten Formate 2020 eben aussieht, wie zuvor andere beliebte Formate aussahen.

Was natürlich den wichtigsten Part unterschlägt: Am Ende sorgte eben nicht die Form, sondern die inhaltliche Relevanz des "Coronavirus-Updates" für einen Gesprächswert, der den Podcast viral gehen ließ: Mit dem Wissen aus dem Podcast kann man sich gut schmücken. Wer sich informieren wollte, wer mitreden wollte, musste den Podcast hören. Wir alle wissen, dass solche persönlichen Kontaktpunkte immer noch der Hauptweg sind, wie sich Podcasts verbreiten: Hörensag… äh... Word of mouth!

Überraschend war für mich schon eher, dass dieser Erfolg aus einem öffentlich-rechtlichen Sender kam. Wobei: Selbst das ist gar nicht so weit hergeholt, sind die öffentlich-rechtlichen (Radio-)Inhalte eben doch nicht ganz unrelevant im deutschen Audio-Markt und die "Serial"-Mutter-Redaktion von "This American Life" ist ja schließlich auch Public Radio. Aber ganz ehrlich: Ich hätte 2019 jedenfalls nicht unbedingt darauf gewettet, dass die NDR Info Wissenschaftsredaktion den Podcast-Erfolg des Jahres 2020 produzieren würde.

(Randnotiz für die Radionerds: Eine weitere Parallele zu "Serial" und den USA ist, dass hier ein Sender ungeachtet seiner Regionalität einen erfoglreichen Podcast für ein nationales Publikum geschaffen hat. Ich glaube, hier liegt viel Diskussionsstoff, was sich daraus für die öffentlich-rechtlichen Radiosender in Deutschland ableitet. Disclaimer, so wie immer: Ich arbeite beim Deutschlandradio.)

Ähnlich wie nach "Serial" stellt sich jetzt die Fragen: Was bleibt vom Aufmerksamkeitsschub für das Format und damit für das Medium Podcast? Wie nachhaltig ist er? Werden die Drosten-Hörer*innen – falls die Pandemie irgendwann mal vorbei ist – danach nach neuen Wissenschaftspodcasts suchen? Nach neuen Gesprächspodcasts? Nach ganz anderen Formaten? Tun sie das vielleicht jetzt schon und lassen die Audio-/Podcastnutzung wachsen, weil sie einmal angefixt, jetzt nach 4-5 weiteren Podcasts suchen? Welche Anbieter profitiert davon – wirklich der NDR? Ich bin jedenfalls gespannt, wie der Drosten-Podcast den Geschmack von Hörer*innen und Macher*innen in den nächsten Monaten und Jahren prägen wird. Ich wäre – vier, fünf, sechs Jahre nach Serial – jedenfalls nicht unglücklich darüber, wenn es weniger schlechtgemachte True-Crime- und mehr gutgemachte Wissenschaftspodcasts gäbe.
 
In diesem verrückten Jahr ist "Das deutsche Serial" endlich da:
Es heißt "Das Coronavirus-Update", ist ein nerdy Gesprächspodcast über Wissenschaft & kommt von einer öffentlich-rechtlichen Infowelle.

Alles daran ist überraschend. Nichts daran ist überraschend.
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DIE PODCAST-GRETCHENFRAGE:
Sag mir, wie hältst du es mit den Plattformen?
Bevor dieser Newsletter einnickte in seinen anderthalbjährigen Dornröschenschlaf, hatte ich mir in Ausgabe 17 ein paar Leitfragen für das Jahr 2019 notiert, unter anderem:
  • Warum und wie lange können sich Podcasts noch dem Metriken-Denken und Mechaniken der modernen, schnellen Medienlandschaft entziehen?
  • Was bleibt, was geht verloren, wenn sich das Tracking für Podcasts durchsetzt?
  • Wie entwickelt sich das Verhältnis von Podcasts zu den Streaming-Plattformen weiter?
  • Werden noch mehr Podcasts wie bei Audible hinter einer Paywall verschwinden?
  • Was muss passieren, damit Podcast-Hören richtig einfach wird und nicht mehr ein Kleiner-Internet-Führerschein notwendig ist?
Wie ich feststellen muss: Auf diese Fragen würde ich mir mittlerweile fast immer die selbe Antwort geben, die ungefähr so lautet: Spotify. Egal ob Metrik-Denken, Tracking und Nutzerdaten, Ent-Technisierung des Hörens, möglicherweise ein Bezahlabo für Podcasts. Fast alles, was irgendwie die Podcast-Welt bewegen könnte, bewegt Spotify. Und damit bewegt das schwedische Unternehmen wiederum die Podcast-Welt. Oder treibt sie vor sich her.

"Sag mir, wie hältst du es mit den Plattformen?" ist mittlerweile eine Gretchenfrage geworden, die große Medien wie kleine Podcast-Anbieter*innen umtreibt. Und die mit den Jahren immer schwieriger zu beantworten wird. Es gibt gute Argumente, die Spotify-Welle mitzureiten – und ich persönlich bin der Meinung, dass Spotify direkt und indirekt den Podcasts bisher (!) noch deutlich mehr Nutzen als Schaden gebracht hat. Aber da fangen dann die Sorgen an…

Kurzfassung: Wir wissen, dass Spotify ein Monopol anstrebt. Es will DIE EINE Plattform werden für Audio: Podcasts, Musik, personalisiertes Radio, Spotify-eigene neue Formate und alle Mischformen davon. Wir sehen, dass Spotify für dieses Monopol arbeitet und für mehrere hundert Millionen Dollar in den letzten Jahren eingekauft hat, was für Hören, Machen, Vermarkten wichtig sein könnte. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Das US-Podcast-Label "Gimlet Media", den wohl reichweitenstärksten Podcaster Joe Rogan, "Anchor" als App zum Podcast-Aufnehmen, die Werbe- und Vermarktungsplattform "Megaphone" zum Monetarisieren über Werbung. Maximal verkürzt: Eigentlich sehen wir gerade, wie Podcasts und das ganze Medium Audio gerade in die Hand einer einzigen Plattform wandern. Spotify wird gerade das Youtube für Audio. Mit allen Vor- und Nachteilen, die das mit sich bringt.

Mit dem Für und Wider der geschlossenen Plattformen für Podcasts beschäftige ich mich sehr gerne, wie die OG-Newsletter-Abonnent*innen sicherlich wissen. Ich möchte deswegen auch verhindern, hier eine lange Abhandlung zu schreiben, Viele dabei zu langweilen und insgesamt alles nochmal neu vorzukauen. Darum eine schamlose Eigenwerbung: Wen die Langfassung und die Plattform-Monopolisierungs-Frage ernsthaft umtreibt, dem empfehle ich zwei Podcast-Episoden, in die ich netterweise eingeladen wurde – und dazu einen langen Text, den ich dazu geschrieben habe:
  • Mit Podcaster Dirk Primbs habe ich ziemlich breit diskutiert: Angefangen mit der nicht unberichtigten Frage, wie verwässert die Definition des Wortes "Podcast" eigentlich ist bis hin zur Diskussion, was uns das über den Stand der Plattformisierung und die Zukunft des Mediums sagt:
    https://podcastprojekttagebuch.kopfstim.me/reden-wir-ueber-podcasting-sandro-schroeder/
  • Im "Frequenz"-Podcast habe ich mit Christian Conradi und Nikolas Semak von Viertausendhertz und mit Tatjana Lukáš von podcastwelt.info diskutiert, die Überschrift hier: "Die Lage des Podcasts. Große Plattformen, großes Geld, große Inhalte?"
    https://viertausendhertz.de/frq70/
  • Bei uebermedien.de habe ich anhand der Spotify-WDR-Kooperation beim "Der Sandra Maischberger Podcast" durchdekliniert, was sich daraus für die Öffentlich-Rechtlichen ableiten könnte, um das Medium Podcast und letztlich sich selbst davor zu schützen, komplett von einer Plattform fremdbestimmt zu werden und ein zweites oder drittes Facebook-/Google-Dilemma zu verhindern.
    https://uebermedien.de/55066/ein-deal-mit-der-ard-von-dem-nur-spotify-profitiert/
Für Eilige: Eine gute Zusammenfassung/Einführung in das Thema bietet auch dieser Text bei washingtonmonthly.com: "Big Tech Comes for Podcasts – Silicon Valley could wreck audio journalism—unless Washington acts first."
LINKS
Kleine Bitte: Ich versuche an dieser Stelle sinnvolle Links zu kuratieren und möglichst die Spreu vom Weizen zu trennen. Das ist wirklich zeitaufwendig, weil ich dafür leider immer beides lesen muss. Deswegen würde ich mich umso mehr über einen kleinen Hinweis auf den Newsletter freuen, wenn die Links bei Twitter & Co geteilt werden. :)
Das war's für die zwanzigste Ausgabe des Hören/Sagen-Newsletters.
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ist der Newsletter über Audio & Podcasts von Sandro Schroeder (@saschroeder), der Newsletter erscheint seit August 2017. Kritik, Anmerkungen, Feedback, Hinweise zum Newsletter gerne an kontakt@sandroschroeder.de
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