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Gelingt Mastodon und dem Fediverse nun der Durchbruch?

May 03, 2022 05:00 am // Björn Friedrich

Titelgrafik von Mastodon mit winkenden Mammuts

Die angekündigte Twitter-Übernahme durch Elon Musk hat für große Aufregung gesorgt und bescherte der Alternativ-Plattform Mastodon großen Zulauf. Dieser Dienst ist Teil des Fediverse, das wiederum ein Netzwerk unabhängiger sozialer Netzwerke darstellt. Schlägt nun also die Stunde unkommerzieller Open-Source-Lösungen, ist das Ende des Plattformkapitalismus eingeleitet? Vermutlich nicht, dennoch lohnt sich ein Blick auf diese Entwicklung.

Was ist Mastodon?

Mastodon ist ein dezentrales Netzwerk, das 2016 vom deutschen Entwickler Eugen Rochko entwickelt wurde und heute von der gemeinnützigen Mastodon gGmbH betrieben wird. Der Dienst basiert auf einer freien Software und finanziert sich über Patreon-Spenden. Mastodon selbst wirbt mit dem Slogan „Soziales Netzwerken wieder in deinen Händen“: Die Idee dahinter ist, dass (Meta-)Daten nicht profitorientierten Konzernen oder Geschäftsmännern gehören sollten, sondern den User*innen dieser Netzwerke.

Anders als bei anderen großen Social-Media-Diensten gibt es nicht einen zentralen Mastodon-Server, sondern viele unterschiedliche Instanzen, die auf eigenen Servern betrieben und untereinander vernetzt werden können. Neben der großen Instanz mastodon.social gibt es in Deutschland z.B. Anbieter wie bildung.social, digitalcourage.social und chaos.social, zudem gibt es einen Server deutscher Behörden und seit 28. April 2022 das Portal EU-Voice. Egal, auf welcher Instanz ich mein Profil einrichte, ich kann mich mit allen anderen Mastodon-Profilen vernetzen.

Auch der Medienpädagogik Praxis-Blog ist bei Mastodon vertreten, ihr dürft uns gerne folgen:

Ein ausführliches Mastodon-Portrait von Michael Weis wurde bereits 2018 in unserem Blog veröffentlicht. Hilfe zur Einrichtung und Bedienung von Mastodon gibt es z.B. in dieser Kurzanleitung von Nele Hirsch.

Was ist das Fediverse?

Wie bereits erwähnt, ist Mastodon ein Teil des Fediverse, also eines größeren Netzwerks verschiedener Online-Dienste und Netzwerke, die unabhängig voneinander agieren, aber technisch verbunden sind. Der Name steht für „federated universe“ und verdeutlicht die standartisierte Zusammenarbeit im Kollektiv. Das Projekt existiert bereits seit 2008 und verwendet seit 2018 das Kommunikationsprotokoll ActivityPub, das vom World Wide Web Consortium (W3C) verwaltet wird.

Neben Mastodon sind das Social Network Friendica, das Videoportal PeerTube und die Fotoplattform Pixelfed weitere Fediverse-Angebote. Eine gute Übersicht bildet diese Grafik von Imke Senst und Mike Kuketz ab, in Kuketz‘ Blog wird das Fediverse auch näher beleuchtet. In unserem Blog hat Gerhard Beck 2021 PeerTube vorgestellt, auf Friendica & Co. hat Eike Rösch bereits 2012 verwiesen.

Wird sich das nun durchsetzen?

Kommen wir zurück zur eingangs gestellten Frage, ob dem Fediverse nun der Durchbruch gelingt. Eigentlich wäre es die logische Weiterentwicklung des Social Web, denn es ist eine Grundidee des World Wide Web, dass alle Seiten vernetzbar sind, auch E-Mails können (unabhängig vom Anbieter) mit allen anderen Mailservern ausgetauscht werden. Die Big Tech-Unternehmen haben diese Idee leider ad absurdum geführt und zahlreiche dezentrale Parallel-Angebote geschaffen, die nicht kompatibel sind, sondern bei denen wir User*innen diverse unterschiedliche Accounts bei verschiedenen kommerziellen Diensten anlegen müssen. Es wäre großartig, wenn die Mehrzahl der User*innen den Online-Konzernen den Rücken kehrt und zu alternativen Angeboten wechselt.

Wenn wir jedoch einen pragmatischen Blick auf die Geschichte des Social Web werfen, müssen wir leider feststellen, dass sich die freien Angebote bislang nicht durchsetzen konnten: Die 2010 als Facebook-Alternative gestartete Plattform Diaspora fristet bis heute ein Schattendasein, auch Friendica (seit 2010) und PeerTube (seit 2017 online) konnten bislang die kritische Marke nicht überspringen. Ähnlich sieht es auf dem Messenger-Markt aus, wo die WhatsApp-Alternative Signal zwar eine gewisse Relevanz erlangt hat, für die breite Masse jedoch unattraktiv ist.

Realistisch betrachtet wird Elon Musk vermutlich nicht an Mastodon scheitern, sondern eher an sich selbst, und mit Blick auf die breite Masse hat Mark Zuckerbergs Vision eines (kommerziell geprägten) Metaverse wohl bessere Chancen als das Fediverse. Zudem hätten die Dienste im Fediverse möglicherweise auch ein Hosting- und Moderationsproblem, wenn bald Millionen Menschen zu ihnen wechseln würden: Wie Richard Gutjahr bei Übermedien treffend beschrieben hat, sind Hasskommentare und toxische Diskussionen auf die User*innen zurückzuführen, nicht auf die Betreiber.

Was tun?

Mit Blick auf die alltägliche Arbeit in der Bildung und Medienpädagogik sollten wir derartige Entwicklungen kritisch hinterfragen und diskutieren. Wohin kann das führen, wenn der reichste Mensch der Welt einen global bedeutenden Kommunikationsdienst aufkauft und ihn nach seinen (teils erschreckend naiven) Vorstellungen verändern will? (Dazu sind jüngst zahlreiche gute Texte veröffentlicht worden, z.B. von Michael Seemann bei der taz.)

Zudem sollten wir die Nutzung alternativer Dienste ausprobieren und propagieren, auch oder gerade weil sie sich am Markt vielleicht nie durchsetzen werden. Wir sollten bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen eine Auseinandersetzung anregen mit den Vor- und Nachteilen eines freien Internets, mit der Grundidee des WWW und den Logiken des Plattformkapitalismus. Wir sollten für unkommerzielle Lösungen werben, für Datenschutz sensibilisieren und zu einer verantwortungsvollen Mediennutzung anregen. Viel mehr können wir nicht tun, aber weniger sollte es auch nicht sein.


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