Liebe Freundinnen und Freunde von Kloster Engelthal,
sehr geehrte Empfänger dieses Newsletters,
es ist Sommer, der längste Tag liegt bereits hinter uns, und viele von uns denken sicher schon an ihre Ferien. Ich schaue noch einmal zurück, denn im Frühjahr beobachte ich gern die aufblühende Natur, was da alles zum Vorschein kommt, und möchte möglichst keinen "Reifungsschritte" verpassen.
In diesem Jahr ist mir aufgefallen, dass die Natur ihrem bisherigen „Terminplan“ voraus war: der Flieder blühte bereits im April, die Pfingstrosen gab es längst vor Pfingsten und die Johannisbeeren reiften vor dem klassischen Datum des 24. Juni. Die Kirschenernte ist noch immer im Gange, wir wurden in diesem Jahr mit einer Überfülle an saftigen, knackigen Kirschen beschenkt, und ehrenamtliche Helferinnen ernten unermüdlich rote und schwarze Johannisbeeren, eine Köstlichkeit und Vitaminzufuhr, für die wir von Herzen dankbar sind.
Gern erinnere ich mich dabei an meine '“Klosterjugend“. An manchen Nachmittagen im Herbst zogen wir alle, Jung und Alt, hinaus in die Obstplantage, um die Äpfel an etwa 100 Bäumen zu pflücken, je nach Geschick mit Leiter hoch oben am Baum, auf einem niedrigeren Pflückbock oder von unten. Das waren unvergessliche gemeinsame Aktionen, bei denen wir einander nicht nur halfen, sondern auch ganz zwanglos miteinander ins Gespräch kamen, über die Generationen hinweg, und gemeinsame Erfahrungen in Gottes schöner Natur machten.
Auch M. Diethild, unsere erste Äbtissin, war regelmäßig dabei, angetan mit Arbeitskittel und blauer Schürze. Ein Höhepunkt war dann jedes Mal, wenn Sr. Bona mit dem Trecker angefahren kam und die Pflückerinnen mit kaltem Tee und Kuchen versorgte. Sr. Bona war es auch, die uns belehrte, mit den Äpfeln wie mit rohen Eiern umzugehen, und uns genaue Richtlinien an die Hand gab, wie wir die Äpfel nach erster, zweiter und dritter Wahl zu sortieren hatten.
Es ist eigentlich schade, dass wir heute auch im Kloster eher „Arbeitsteilung“ haben und solche Gemeinschaftsarbeiten in den Hintergrund gerückt sind.
Doch ich möchte noch ein wenig beim Thema Natur bleiben. Wir finden es auch in vielen Gleichnissen der Evangelien. Mich hat schon immer fasziniert, wie aufmerksam Jesus die Geschehnisse in der Natur wahrgenommen und beobachtet hat und wie viele seiner Gleichnisse aus dem Bereich des Gartens und der Landwirtschaft stammen.
Er sieht die Lilien des Feldes, die Vögel des Himmels, den Sämann, der aussät, das winzige Senfkorn, aus dem ein Baum wächst, und den Weinstock, der mehr Frucht bringt, wenn er beschnitten wird. Jesus lebt in und mit der ihn umgebenden Natur und sieht im Säen, Wachsen und Ernten Bilder für das Reich Gottes und das Miteinander der Menschen. Alles, was geschieht, wird ihm zum Gleichnis!
Ein besonders schönes Gleichnis ist das vom Feigenbaum, das uns Lukas überliefert hat:
„Ein Mann hatte in seinem Weinberg einen Feigenbaum gepflanzt; und als er kam und nachsah, ob er Früchte trug, fand er keine. Da sagte er zu seinem Winzer: Siehe, jetzt komme ich schon drei Jahre und sehe nach, ob dieser Feigenbaum Früchte trägt, und finde nichts. Hau ihn um! Was soll er weiter dem Boden seine Kraft nehmen? Der Winzer erwiderte: Herr, lass ihn dieses Jahr noch stehen; ich will den Boden um ihn herum aufgraben und düngen. Vielleicht trägt er in Zukunft Früchte; wenn nicht, dann lass ihn umhauen!“ (Lk 13,6-9).
Da stehen zwei Einstellungen einander gegenüber: die des Weinbergbesitzers und die des Arbeiters im Weinberg, des Weingärtners.
Der Weinbergbesitzer ist enttäuscht, frustriert. Mit Recht hat er von seinem Feigenbaum Frucht erwartet. Wir kennen solche Situationen der Enttäuschung, dass unser Leben, unser Beruf, unser Einsatz oder das Leben eines uns verbundenen Menschen scheinbar keine Frucht bringt. Da hat man sich abgemüht und investiert, aber es stagniert, es geht nicht voran.
Wir alle kennen auch Gefühle der Vergeblichkeit. Das kann so weit gehen, dass wir an unserer Daseinsberechtigung zweifeln. Der Weinbergbesitzer ist auch Geschäftsmann, der kühl kalkuliert. Er will Frucht sehen, Ertrag, Profit. Was man tut, muss zu etwas nutze sein, muss Gewinn bringen. Hinzu kommt, dass der Weinbergbesitzer eher distanziert ist, er kommt nur sporadisch in seinen Weinberg und hat keine persönliche Beziehung dazu. So zieht er schnell das Fazit: Was nichts einbringt, wird umgehauen, wird entsorgt.
In diese Enttäuschung hinein sagt der Winzer: „Herr, lass ihn dieses Jahr noch stehen; ich will den Boden um ihn herum aufgraben und düngen. Vielleicht trägt er in Zukunft Früchte.“ Der Weingärtner gibt die Hoffnung nicht auf. Er steht dem Feigenbaum näher, geht täglich mit ihm um. Darum kann er ein gutes Wort für ihn einlegen.
Drei Dinge schlägt er vor: 1. Geduld: Er will Zeit gewinnen; ein Jahr sollte man noch abwarten. 2. Aufgraben: Er will den Boden lockern; der Baum soll Luft bekommen zum Atmen und Wachsen. 3. Düngen: Der Baum bekommt Unterstützung, die ihm gut tut und ihn zum Blühen und Fruchttragen bringen soll.
Übertragen wir dies auf unsere menschlichen Beziehungen, dann kann das Aufgraben bedeuten, dem anderen den nötigen Freiraum zu geben, und das Düngen steht für die Aufmerksamkeit und Zuwendung, die wir ihm entgegenbringen. Wenn wir Hoffnung für die andere haben, an ihre Fähigkeiten glauben, anstatt sie abzuschreiben, dann kann sie sich „vielleicht“ (wie der Winzer meint) entfalten. Ein alter Spruch lautet: Du kannst nur das verändern, was du annimmst – bei dir und bei anderen.
Dieser Winzer ist für mich auch ein Bild für Gott. An ihm lese ich die Haltung ab, die Gott uns entgegenbringt, indem er uns bedingungslos annimmt und nie aufgibt, auch wenn wir selbst uns vielleicht schon aufgegeben haben. „Der Name Gottes ist Barmherzigkeit“, lauter ein Interview-Buch mit Papst Franziskus, in dem er erzählt, wie er in Erfahrungen eigener Schwäche Gottes Nähe fand.
Heute hört und liest man oft das Wort „Vulnerabilität“, Verwundbarkeit, Verletzlichkeit, Schwäche. Durch die Krisen, die uns gerade in den letzten Jahren getroffen haben, angefangen bei der Kirchenkrise durch die Erfahrungen sexuellen und geistlichen Missbrauchs, der Wirtschaftskrise und Rezession, der Corona-Pandemie, des Klimawandels, bis hin zur furchtbaren Flutkatastrophe im Ahrtal und anderen Naturkatastrophen und zur „Zeitenwende“ durch den sinnlosen Krieg in der Ukraine, sind wir für das Thema „Verwundbarkeit“ hellhöriger und empfänglicher geworden.
Ich glaube, die Zeiten sollten vorbei sein, in denen es um „höher, besser, schneller, weiter“ und ungebremsten Fortschritt ging. Wir erleben vielmehr, wie angefochten und verwundbar menschliches Leben ist, physisch, psychisch und geistig, und darum schutzbedürftig – das gilt für das ungeborene Leben und bis hin zum Lebensende und zum Sterben. In dieser Situation sind wir eingeladen, einander zu stützen und zu unterstützen, gute Winzer zu sein, die Leben schützen und begleiten und mit Gottes guter Schöpfung achtsam umgehen.
Das gilt natürlich auch für uns selbst. Mögen Ihnen in diesem Sommer gute und erholsame Tage geschenkt sein zum zum Aufatmen und Auftanken!
Ihre
Sr. Elisabeth Kralemann