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Liebe Freundinnen und Freunde von NeSTU

Im vergangenen Mai haben wir den Osterbrief unseres Freundes Maxim Butkewytsch veröffentlicht, hier nochmals der Link. Er ist einer der bekanntesten Menschenrechtsaktivisten in der Ukraine. Zu Beginn des Russischen Angriffs auf die Ukraine Ende Februar hat er sich freiwillig zur Armee gemeldet. Ende Juni geriet er bei der Schlacht um Severodonetsk in Kriegsgefangenschaft. Seither haben seine Angehörigen nichts mehr von ihm gehört. Über seinen Fall haben zahlreiche internationale Medien berichtet, neulich auch die WoZ.
Gemeinsam mit den Eltern von Maxim lassen seine Freunde nichts unversucht, um wenigstens herauszufinden, wo er sich befindet und wie es ihm geht. In den russischen Medien wurde er gleich nach seiner Festnahme absurderweise als Nazi verunglimpft.
Einen ausführlichen Text der ukrainischen Internetplattform Graty haben wir auf Deutsch übersetzt und auf der Website von NeSTU veröffentlicht. Hier geht es um 30 Jahre gesellschaftspolitischen Engagements, eine persönliche Geschichte der unabhängigen Ukraine.
In diesem Rundbrief:
  • Am 24. August feiert die Ukraine den Jahrestag ihrer Unabhängigkeit, dieses Mal unter dramatischen und tragischen Umständen. Zu diesem Anlass laden wir gemeinsam mit dem Schweizer Friedensrat zu einem Café de la Paix nach Zürich ein: Gartenhofstrasse 7, Beginn um 18:30. Die Veranstaltung wird in Deutscher und Ukrainischer Sprache stattfinden. Nach Lesung und Musik soll der Abend mit einem Apéro ausklingen. Anmeldung ist nicht nötig, Infos per Mail bei Diana Hrytsyshyna
  • Die Hudaki Village Band kommt im September für vier Auftritte in die Schweiz. Die Konzerte sind natürlich jeweils Gelegenheit, Solidarität mit der Ukraine auf konkrete Bedürfnisse auszurichten und Fragen zur aktuellen Lage zu beantworten. Die Auftrittsorte: 9.9. Wohlenschwil AG, 10.9. Karthago ZH, 11.9. Romanshorn SG, 17.9. Marché Bio Saignélégier JU.
  • Die Neue Zürcher Zeitung hat kürzlich über Transkarpatien berichtet, der Artikel hier als PDF
  • Ende Juni hat in Nyzhne Selyshche das BIRUCHIY contemporary art project stattgefunden, ein kreatives Treffen führender bildender Künstler und Künstlerinnen aus der Ukraine und dem Ausland. Der übliche Austragungsort am Asowschen Meer ist derzeit von Russischen Truppen besetzt. Das diesjährige Symposium stand unter dem Motto Kunst im Krieg. Der online-Katalog ist hier zu sehen. Die resultierende Ausstellung wurde Anfang Juli bei uns im Dorf gezeigt, nun geht sie nach Warschau, New York, Berlin und Tokyo. NeSTU hat dieses Projekt unterstützt.
  • Der Krieg geht weiter und damit auch die kolossalen Anstrengungen privater Initiativen, Menschen zu retten und ihnen beim Überleben zu helfen. Hier kommt ein Reisebericht von Besuchen in Dnipro und Kyiv bei lokalen Freiwilligenorganisationen.
  • Auch zu diesem Thema ein Lesetipp, auf Englisch: Die amerikanische Historikerin und profunde Osteuropakennerin Ann Applebaum schreibt im Atlantic über die "andere ukrainische Armee", die das Land rettet, nämlich jene der Freiwilligen.
Text von Jürgen Kräftner, NeSTU Transkarpatien
Hilfe für die Ukraine
Ohne die rastlose Aktivität von unzähligen Privatinitiativen wäre das Leid in der Ukraine um ein Vielfaches schlimmer, denn der Staat ist, nicht sehr überraschend, völlig überfordert. Unsere persönlichen Verbindungen zu verschiedenen Initiativen sind derzeit überaus wichtig, um schnell und unbürokratisch Mittel einzusetzen, dort wo sie am dringendsten benötigt werden. Dafür sind wir weiterhin für jede Unterstützung dankbar!
Spendenkonto:
Raiffeisenbank Nidwalden, 6370 Stans
IBAN: CH69 8080 8008 0940 4940 2
BIC: RAIFCH22XXX

NeSTU Netzwerk Schweiz-Transkarpatien/ Ukraine
Mürgstrasse 6
6370 Stans
Eine Sommerreise nach Dnipro
Unterwegs in Kyiv, Zhytomir, Poltava und Dnipro taucht man ins reale Leben der Ukraine ein und kann auf die brillanten Analysen der Experten verzichten. Die Blicke der Menschen und ihr Verhalten in der Öffentlichkeit zeigen, wo die Ukraine nach bald sechs Monaten Krieg steht. Auf der Strasse begegneten mir mehrere Kleinbusse, auf denen in großen Buchstaben "200" steht, sie transportieren gefallene Soldaten. Ich sehe auch die frischen Gräber neben der Strasse, über denen die blau-gelbe Flagge weht. Grössere Zerstörungen haben wir vor allem in der Nähe von Kyiv gesehen. Dort haben wir mit Hudaki ein Solidaritätskonzert zugunsten der kleinen Freiwilligeninitiative base-ua gegeben.
Aber ich sehe auch all diese lebendigen Menschen und ich höre ihre Stimmen, ich höre, was Freunde erzählen und ich spüre eine unerschütterliche Entschlossenheit. Niemand kann diesen Freiheitswillen besiegen. Das bestätigt mir auch unser Freund, der Fotograf Sasha Glyadyelov. Er reist viel und trifft viele Menschen. Kürzlich verbrachte er einige Tage in Charkiw. Seine Freunde dort sind wütend über die von den Russen verursachten Schäden und Opfer, aber sie lachen auch und sagen: "Was wollen sie hier, wissen sie denn nicht, dass wir hier alle verrückt sind, nie werden sie uns besetzen!" Auch in Charkiw haben sich viele Intellektuelle und Künstler der Territorialverteidigung angeschlossen. Während die Russen weiterhin die nordöstlichen Stadtteile bombardieren, wird im Stadtzentrum wieder aufgebaut, die Grünflächen werden mit Blumen geschmückt und ein für seine Graffiti bekannter Künstler erneuert seine Malereien an frisch renovierten Hauswänden.

Und ich sehe unterwegs die prächtigen Felder mit Sonnenblumen, Weizen und Mais in diesen weiten Landschaften, manche sind schon abgeerntet und gepflügt, dort sieht man die anthrazitfarbene Erde. Die Ernte wird gut ausfallen und die Ukraine wird genug zu essen haben, und wenn der Export wirklich möglich sein wird, kann vielleicht die befürchtete weltweite Lebensmittelkrise noch abgewendet werden. Ganz im Gegensatz zum schrecklich ausgetrockneten Transkarpatien herrschte in den Getreideebenen der Ukraine in diesem Jahr ein fast ideales Klima.
Eine kurze Video in die Arbeit der Angels of Salvation in Dnipro. Zum Ansehen das Foto anklicken. Die Sonnenblumen stammen vom Weg dorthin, eine Landschaft zwischen Kyiv und Dnipro Anfang August.
In den Städten ist der Kontrast zum üblichen Leben stärker als am Land. Die streng kontrollierte Ausgangssperre von 23.00 - 5.00 Uhr bestimmt den Tagesablauf, ab 22.00 leeren sich die Strassen. Auch tagsüber ist es deutlich ruhiger als gewohnt, es gibt fast keine Staus, die Menschen sind ernst, selten lächelnd, anders als sonst, es ist schwer zu erklären. Vielleicht kann man sagen, dass der übliche, wilde Egoismus weitgehend gewichen ist.

Die Geschäfte sind voller Lebensmittel aller Art. Die Treibstoffkrise ist mehr oder weniger überwunden, man kann tanken, und die Preise sind festgelegt, 1,46€ pro Liter Diesel.
So friedlich sieht Dnipro derzeit aus. Gleichzeitig wird hier verständlich, warum die Flüsse in der Ukraine eine so grosse strategische Rolle spielen.
Der Autor mit dem Leiter der Angels of Salvation, Dmytro Myshenin (links). Dieser farbenfrohe Mercedes Vito wurde von der Stadt Basel an Longo mai für humanitäre Zwecke in der Ukraine gespendet und wird jetzt für die Evakuierung aus den Kampfgebieten eingesetzt. Dmytro (Dima) zeigte sich hocherfreut.
Kürzlich haben wir übrigens im Blick einen recht ausführlichen Bericht über die Angels of Salvation gefunden, er ist durchaus lesenswert.
Eine der Lagerhallen der Angels of Salvation am Stadtrand von Dnipro. Die gute Organisation und die umgesetzten Mengen der Hilfsgüter sind beeindruckend.

Die  Angels evakuieren seit Beginn des Krieges 50 - 200 Menschen pro Tag aus den Kriegsgebieten. Und sie verteilen grosse Mengen an Lebensmitteln und anderen Hilfsgütern. Bedürftige wenden sich an ihr Callcenter (ich habe es gesehen), das täglich bis zu 2000 Anrufe erhält. NeSTU hat sie bisher mit 35.000€ unterstützt und wird dies auch weiterhin tun. Die "Engel" nutzen bereits mehrere unserer Fahrzeuge für die Evakuierung und Verteilung von humanitärer Hilfe. Ihr Engagement und der Umfang ihrer Arbeit haben mich sehr beeindruckt. Dmytro, der Gründer dieser Initiative mit über 60 Freiwilligen, wird nicht müde zu betonen, dass die Autos, die wir ihnen gegeben haben, viele Menschenleben gerettet haben. Die Organisation gibt sich derzeit professionellere Strukturen, was notwendig ist, um mit internationalen Stiftungen zusammenzuarbeiten. Private Spenden gehen tendenziell zurück, das muss kompensiert werden. Dmytro ist Unternehmer aus Slawjansk in der Oblast Donezk, spezialisiert auf die Herstellung von Pellets zum Heizen. Sein Haus wurde durch eine russische Granate teilweise zerstört. Seit Kriegsbeginn arbeitet er ca. 15 Stunden täglich als Koordinator der Angels, mindestens die Hälfte der Zeit verbringt er am Telefon.

Ich fand es besonders interessant, dass die «Engel» Schulungen für IDPs (Binnenflüchtlinge), insbesondere für Heimarbeit, anboten. Diese Schulungen werden online ausgeschrieben und stossen auf grosses Interesse. Interessierte Personen durchlaufen ein Auswahlverfahren, es gibt mehr Anfragen als Plätze. Die angebotenen Berufe sind z. B. Webdesign oder handwerkliche Arbeiten, die von zu Hause aus erledigt werden können. Ebenfalls erfreulich ist festzustellen, dass die verschiedenen Hilfsinitiativen harmonisch zusammenarbeiten. Besonders wichtig ist die grosse Organisation Vostok SOS, die ebenfalls seit 2014 in der gesamten Ostukraine aktiv ist. Während die Menschen im Zug von Pokrowsk (Oblast Donetsk) in Richtung Westen sitzen, suchen diese Netzwerke für sie temporäre Unterkunft in verschiedenen Regionen. Die Fähigkeit dieser Leute zum effizienten Improvisieren ist fabelhaft.

Bei der Rückfahrt von Dnipro nach Lwiw teilte ich mein Zugabteil mit einem etwa 22jährigen Berufssoldaten von der Infanterie, er dient bereits seit 2020. Er fuhr zur Beerdigung des Leutnants seiner Einheit. Dieser Offizier war bereits im März während der Schlacht um Kyiv gefallen. Es dauerte drei Monate, bis seine Identität mithilfe einer Genanalyse festgestellt werden konnte. Der junge und bärenstarke Mann war trotz allem gut gelaunt und lächelte jedes Mal, wenn er etwas sagte. Er wollte aber auch nicht damit hinter dem Berg halten, dass die Verluste viel höher seien, als die offizielle Statistik angibt. Seit Kriegsbeginn war seine Einheit schon an den drei grossen Frontabschnitten, zuerst nördlich von Kyiv, dann bei Cherson und nun bei Bachmut bei Donezk, unter unaufhörlichem Artilleriefeuer. Von den Männern, mit denen er im Febraur in den Kampf gezogen war, seien nur mehr sieben am Leben. Ich habe es nicht übers Herz gebracht ihn zu fragen, wieviele sie denn zu Beginn waren.
Die Fotos oben stammen aus Charkiw. Wir sind weiterhin mit der dortigen Hilfsinitiative NEBO in Kontakt. Die Menchentraube wartet bei der Essensausgabe, Frauen arbeiten in einer der Bäckerein von NEBO. Charkiw wird weiterhin täglich mit Raketen und Artillerie beschossen.
Diese Video aus Charkiw von Babylon`13 über eine Gruppe junger Skateboarder zeigt, wie das Leben trotz allem weitergeht. Die englischen Untertitel müssen eventuell aktiviert werden.
Bild unten: Zerschossene Wohnungen werden behelfsmässig mit OSB-Platten verschlossen.
Levon Azizian
Unser Freund, Migrationsforscher und humanitärer Aktivist armenischer Abstammung hat uns wieder besucht. Er berichtet, dass die Zahl der Menschen, die die Frontlinie zwischen den besetzten und unbesetzten Gebieten überqueren, jetzt in beiden Richtungen ungefähr gleich ist. Zum Beispiel haben an einem der Übergänge südlich von Saporischschja in den letzten Tagen durchschnittlich 1600 Menschen in Richtung freie Ukraine und 1200 Menschen in das besetzte Gebiet überquert. Viele Menschen gehen also trotz allem in ihre Heimat zurück. Sie gehen das Risiko ein, unter der Besatzung zu leben, sie ziehen es vor, in ihren Häusern bzw. Wohnungen in ihrer gewohnten Umgebung zu leben, anstatt im Westen der Ukraine oder im Ausland in einer Flüchtlingsunterkunft. Diese Menschen sind oft sehr enttäuscht über den Empfang, der ihnen bereitet wurde. Womit einmal mehr klar wird, wie wichtig individuelle Betreuung dieser Menschen in Not ist, die, frei nach dem Schweizer Liedermacher Michel Bühler, nicht "pour le plaisir" auf Reisen gegangen sind.

Levon weist darauf hin, dass grosse Organisationen und Stiftungen weiterhin nicht in Risikogebieten arbeiten und Initiativen in Frontnähe von der Unterstützung kleinerer, unbürokratischerer Organisationen oder Stiftungen abhängen. Und wie wir Alle fürchtet er eine zusätzliche Katastrophe im kommenden Winter, wenn hunderttausende Menschen in unbeheizbaren Wohnungen frieren werden.
Kontakt zu NeSTU:
Salome Stalder - Martin, Dipl Forst-Ing. ETH, Mürgstrasse 6, 6370 Stans
E-Mail: info(at)nestu.org. Natel: 078 770 23 43
Spendenkonto NeSTU:
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IBAN: CH69 8080 8008 0940 4940 2
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