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Bothmer Nachrichten

12. November 2021
Im Gedenken an den 13. November 1941


Wir alle, die wir mit der Bothmer-Gymnastik arbeiten und leben, werden im kommenden Jahr  2022 das 100jährige Bestehen der Bothmer-Gymnastik feiern und dabei den Beginn von Bothmers Arbeit als Turnlehrer an der Stuttgarter Freien Waldorfschule als Geburtsstunde der Gymnastik ansehen. Wir werden dann dankbar und bewundernd auf Bothmers Schöpfung blicken, auch des spirituellen Gründers und Leiters der Waldorfschule, Rudolf Steiner, gedenken, der Bothmer den schicksalhaften Auftrag gegeben hat, den Turnunterricht der ersten Waldorfschule zu seiner Aufgabe zu machen.
 
Das Jahr 2021 ist in anderem Sinn ein Jahr des Gedenkens: Am 13. November jährt sich Bothmers Todestag zum 80sten Mal.  Ich möchte dieses Datum zum Anlass nehmen, liebe Leserinnen und Leser, mit euch den Blick auf die letzten vier Lebensjahre Bothmers zu richten, die einerseits von Verlust und schmerzlicher Entsagung geprägt sind und andererseits letzte Zeiträume eröffneten, die für die noch intensivere Forschung nach dem Wesen der Bewegung genutzt wurden und den vorläufigen Abschluss von Bothmers Buch «Gymnastische Erziehung»  als einem Höhepunkt seines Schaffens Wirklichkeit werden liessen.
 
In tiefe Krisen und Erschütterung führten die 30er Jahre des letzten Jahrhunderts die deutsche Waldorfschulbewegung durch die Machtergreifung der NSDAP und durch die Schwierigkeiten, die seit Rudolf Steiners Tod 1925 am Goetheanum in Dornach entstanden waren. Das politische Geschehen bedrohte von Anfang an die äussere Existenz der Waldorfschulen, die inneren Schwierigkeiten der anthroposophischen Gesellschaft drohten die Lehrerschaft der Schule zu spalten.
Die schwere Erkrankung Emil Molts, des «Vaters der Waldorfschule», schien Bothmer  ein Bild der sich anbahnenden Prozesse und er empfand: «...So geht es dem Lebenslicht der Schule immer mehr ans Leben...»
Die bedrohlicher werdende Situation führte dazu, dass die Stuttgarter Schule einer neuen Führung ihrer inneren und äusseren Angelegenheiten bedurfte, - diese schwere Aufgabe übernahm Fritz von Bothmer zusammen mit seinem Kollegen Sandkühler im Jahr 1935. Gleichzeitig wurde er Mitglied des Religionslehrerkollegiums. In welcher inneren Stimmung, christlich/kämpferisch, er die unglaublichen Verantwortungen auf sich nahm, können wir aus der Erzählung eines Schülers der 3. Klasse erahnen: Bothmer wies die Kinder  darauf hin, dass ein Kreuz immer auch ein Schwert sei.
Sein ritterliches Wirken konnte das endgültige Verbot der Schule verzögern, aber nicht abwenden. Mitte März 1938 wird vom Württembergischen Kultminister der Schule die Genehmigung auf 1. April 1938 entzogen. Und am 30. März, dem Geburtstag Rudolf Steiners, wurde die schmerzliche Schliessung der Schule mit einer grossen Feier, die Schüler, Eltern und Gäste vereinigte, aufs festlichste und würdigste begangen. Bothmer, als Schulleiter, fiel die offizielle Aufgabe zu, an der er, für alle Anwesenden erschütternd erkennbar, zu höchster menschlicher Grösse empor wuchs.
 
Eine ganz andere, ihn tief schockierende Erfahrung war für Bothmer die Zurückweisung seiner Angebots, sich dem Land als Offizier der deutschen Wehrmacht zur Verfügung zu stellen, das er im Juli 1941 machte.
Aus dem zeitlichen Abstand von 80 Jahren und in Kenntnis von Bothmers tiefem Verwurzeltsein in der Anthroposophie ist diese Bewerbung schwer nachvollziehbar. Ein Waldorflehrer, Religionslehrer, ein Schulleiter, der seine jüdischen Kollegen aus der Schule
ausschliessen musste, - wie kann es sein, dass er sich einem Staat, der die geistigen und physischen Grundlagen seiner Existenz zerstörte, seine Dienste anbietet? Die Wurzeln für diesen Schritt liegen vermutlich in Bothmers Herkunft und Erziehung und in der jahrzehntelangen erfüllenden Berufsausübung als Offizier im Infanterie-Leibregiment des Königs von Bayern. Auch die Jahre des ersten Weltkriegs, mit mehreren, zum Teil lebensbedrohenden Verwundungen erschütterten Bothmers « ...natur- und menschenfrohes Soldatenherz...» nicht endgültig, so dass er auch nach dem Krieg seine Tätigkeit als Offizier noch einige Zeit weiterführte: «Ich bin trotz allem augenblicklich Offizier, Hauptmann wie einst und führe eine Ausbildungskompanie ... Ich erachte es als meine Pflicht, die aus den Wahlen hervorgegangene Regierung zu stützen, damit sie zeigen kann, ob sie positiver Arbeit fähig ist ...». Und 20 Jahre später, als Deutschland im 2. Weltkrieg stand, regten sich vielleicht in der Seele Graf Bothmers die von seinen Vorfahren und ihm selbst über viele Generationen geübte Treue und Opferbereitschaft dem Land gegenüber, das von ihm weniger als Nationalstaat denn als physische und geistige Heimat erlebt wurde. Das gewaltige kulturelle Erbe und der Idealismus des 18. und 19. Jahrhunderts lebten in seinem Gemüt fort, offenbar unbeschädigt von den menschenverachtenden sozialen und politischen Gegebenheiten des Deutschlands.
Die Ablehnung seines Gesuchs durch die Behörden traf Bothmer hart: « Meine Anfrage über die Bedingungen für meine militärische Wiederverwendung ergab teils Aussichtslosigkeit, teils entwürdigende Bedingungen, dass die Sache für mich erledigt sein dürfte. Gab es auch einen starken Schock, da ich auf derartiges doch nicht gefasst war, so habe ich mich doch zu fassen vermocht; denn nun gehört mein weiteres Leben der Arbeit, die ich mir selbst aufgebaut habe und die kein Anderer für mich tun kann. So etwas wie Seewind weht mir wieder um die Nase. Weite, Höhe, Ziele ...» und «...Jetzt geht mein Leben weiter. Ich brauche mir keine Gedanken über die Zukunft zu machen. Sie gehört der Gymnastik....»
 
Der schon viel früher angelegte Bruch mit allem Herkömmlichen war nun endgültig vollzogen und Bothmer frei, sein Werk soweit abzuschliessen, dass es weitergegeben und  der Nachwelt erhalten bleiben konnte. Wie kurz dieser offene Zeitraum bereits bemessen war, ahnte Bothmer im Sommer 1941 noch nicht. Zwar litt er schon längere Zeit unter einem hartnäckigen Husten, auch Atembeschwerden stellten sich gelegentlich ein, aber er dachte das durch Erholung in den Bergen ausheilen zu können.
Schreibend und zeichnend, immer wieder überarbeitend, näherte er sich der Vollendung des Buchs, das er aus seinen Manuskripten «in die Schreibmaschine» gab.
 
 Am 17. Juli 1941 ist in einem Brief von zwei «unkorrigierten Abzügen» des Buches «in dem schwarzgrauen Papier» die Rede. Im Juli 41 musste also nur noch Korrektur gelesen werden. Einen Monat später schreibt Bothmer (am 19. 8.) an Elisabeth Dessecker, die offenbar als erste das fertige Buch von ihm empfangen hatte: «Ihr Brief war und ist mir eine grosse Freude. Wie hätte ich mir mehr wünschen können? Ist, was Sie schreiben, nicht die schönste Kritik für mein Buch, die ich mir wünschen kann? So bejahend, dass mir nichts zu sagen übrigbleibt als: Ich bin glücklich, dass ich dies Buch Ihrer Beurteilung zuerst unterworfen habe und dass es ab jetzt in Ihren Händen ruht.....».
 
Aus diesen Daten lässt sich annehmen, dass die «Gymnastische Erziehung» Anfang August
1941 von Bothmer als abgeschlossen betrachtet wurde und von da an in den Händen einer jüngeren Generation «ruhte».
 
Zwei Monate nach Abschluss des Buches, nachdem sein Gesundheitszustand ihm mehr und mehr Beschwerden verursacht hatte, zwei Wochen vor seinem Tod, wurde Bothmer endgültig die Diagnose «Lungenkrebs im fortgeschrittenen Stadium» gestellt. Ein neuer, tief ernster Freiraum öffnete sich, in den Bothmer, so ist es überliefert, nicht nur gefasst, sondern fröhlich eintreten wollte. Vor 80 Jahren, am 13. November 1941, vollzog er den Übergang in die geistige Welt.
 
Für diesen kleine Gedenktext habe ich auf Tagebuchaufzeichnungen und Briefe Bothmers zurückgegriffen, die mir zum Teil vorliegen, zum Teil von A.v.Bothmer in ihrem Buch zusammengestellt wurden.

Rose Aggeler

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