Unsere Verabredung mit dem Leben…
Mit diesen Worten beginnt einer der viel zitierten Sprüche des weltweit berühmten Zen Meisters und Mönchs Thich Nhat Hanh. Er, der für viele Menschen inspirierender Lehrer, Vorbild und Weggefährte war, hat sich vor wenigen Tagen für immer verabschiedet. Er war ein Meister der Achtsamkeit. Seine friedliche, ruhige und unerschütterliche Präsenz zog nicht nur viele Menschen in seinen Bann. Sie war gleichsam so wirkmächtig, dass er für den eigenen Staat zu gefährlich wurde und über 35 Jahre im Exil leben musste.
Ich habe Thich Nhat Hanh nie persönlich kennen gelernt. In meinem Bücherregal finden sich jedoch einige seiner Bücher. Ein Buch hat es mir besonders angetan: „Die 14 Tore der Achtsamkeit“, die Lebensregeln des von ihm gegründeten Ordens Intersein. Darin beschreibt er Anleitungen für ein geglücktes Leben. An erster Stelle der Regeln steht die Übung der Offenheit, der Kultivierung des Anfängergeists im Zen, und sie enden mit der rechten Lebensführung, dem liebe- und verantwortungsvollen Umgang mit der sexuellen Energie. Über einige Monate hatte ich mich intensiv mit diesen Achtsamkeitsübungen beschäftigt, sie studiert, geübt und für mein Leben fruchtbar werden lassen.
So sanft Thich Nhat Hanh auf viele Menschen wirkte, seine eigene, radikale Schulung der Achtsamkeit durchlief er während des Vietnamkriegs und wurde dabei zum Friedensaktivist. Während Freunde bedroht und verhaftet wurden, und Waffen allgegenwärtig waren schrieb er: „Man sucht den Weg für seine Gehmeditation genau dort, wo Menschen vor den Bomben davonlaufen. Und man lernt achtsames Atmen zu üben, während man sich um ein Kind kümmert, das durch Gewehrkugeln oder Bomben verwundet wurde.“ Aus jener Kriegszeit stammen berührende Zeugnisse. Thich Naht Hanh brachte allein durch seine friedvolle Präsenz im achtsamen Gehen Waffen zum Schweigen.
Obwohl in unseren Ländern Waffen schweigen, nehmen gewaltsame Auseinandersetzungen zu. Allenthalben wird beklagt, dass wir uns nicht mehr richtig zuhören, Familien im Kontext der Pandemie zerrüttet werden und Freund:innen sich nicht mehr verstehen. In solchen Momenten höre ich die Ermutigung von Thay - wie ihn seine Schüler:innen liebevoll nannten – finde Frieden in dir. Übe Achtsamkeit. Übe achtsames Atem während du deinen eigenen Ärger, deine eigene Wut wahrnimmst und öffne dich dafür, dass die „Verabredung mit unserem Leben immer im gegenwärtigen Augenblick stattfindet. Und der Treffpunkt unserer Verabredung ist genau da, wo wir uns gerade befinden.“ In diesem Moment sind wir wirklich lebendig und dann „ist alles, was wir tun oder spüren, ein Wunder.“
Ich wünsche uns allen, dass uns die Verabredung mit dem Leben immer wieder gelingen mag, so dass sich in unserem Alltag Wunder ereignen können.
Anna Myoan Gamma, Zen Meisterin Offener Kreis
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