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Antje Schrupp – Newsletter vom
17. Februar 2022

Lieber Freund*innen und Interessierte:

Ich war shoppen. Seit Monaten schlich ich drum herum, aber es war mir zu teuer. 120 Euro! Nein, die Rede ist nicht von Klamotten oder sowas, sondern von Margarete Susmans Büchern „Vom Sinn der Liebe“ und „Ich habe viele Leben gelebt“. Beide gibt es nur antiquarisch, und ich hatte gehofft, dass sie vielleicht zu ihrem 150. Geburtstag wieder aufgelegt werden. War aber nicht so. Vor allem das erste war teuer - 88 Euro habe ich bezahlt für den Erstdruck aus dem Jahr 1912. Das zweite „Ich habe viele Leben gelebt” ist ihre Autobiografie, die sie 1964, mit über neunzig, veröffentlichte. Auch das war nicht ganz billig zu haben.

Ich habe schon darüber gerantet, wie schade es ist, dass eine Denkerin wie Susman vom bürgerlich-männlichen Kulturbetrieb so vergessen wurde. Aber beim Lesen der beiden Bücher wurde mir klar, dass auch die in den 1970ern gestartete feministische Wiederentdeckung der weiblichen Geschichte oft nur einem bestimmten Typus von Frauen galt.

Margarete Susman war nicht antikonventionell im selben Sinne wie emanzipierte Zeitgenossinnen, etwa Else Lasker-Schüler oder Franziska Zu Reventlow. Susman war eher, wie soll ich sagen, brav. Sie fügte sich, als ihr Vater ihr das Studieren verbot, und überließ ihrem Ehemann den Wahl des Wohnorts, auch wenn sie nicht einverstanden war. Aber ich glaube, gerade weil Susman im Lauf ihres Lebens nicht sehr damit beschäftigt war, zu protestieren und ihren eigenen Standpunkt durchzusetzen, war sie in der Lage, bestimmte Dinge zu erkennen.

Ihre Idee von einem kosmischen Gesetz etwa, das (in Anlehnung an das jüdische Verständnis der Tora) der geistigen und politischen Welt einen Rahmen vorgibt, so wie die Naturgesetzte der physikalischen Welt: Sie hängt sicher damit zusammen, dass die wichtigste Maxime ihres Lebens nicht Individualität und persönliche Freiheit, sondern Austausch und Bezogenheit war. Eine gewisse „Ichlosigkeit” ist vermutlich auch hilfreich, um Anzeichen für Unheil zu sehen. So wie Susman um 1900 beim Kreis um den Dichter Stefan George in München sie blieb hier trotz Einladung bewusst auf Distanz, während zum Beispiel Franziska Zu Reventlow sich als „heidnische Madonna” feiern ließ von Leuten, die später glühende Antisemiten wurden.

Es geht mir bei diesem Hinweis nicht darum, verschiedenen Frauentypen gegeneinander auszuspielen, sondern um ein Plädoyer dafür, sie in ihrer Unterschiedlichkeit zu würdigen. Unsere Aufgabe bei der Auseinandersetzung mit weiblicher Ideengeschichte ist es nicht, die Schiedsrichterin zu spielen und zu entscheiden, welcher Weg besser und welcher schlechter ist, sondern uns mit Frauen, die andere Erlebnisse hatten, andere Perspektiven und andere Entscheidungen trafen, in eine Beziehung zu setzen. Und zwar, ohne sie von vornherein nach unseren Maßstäben beziehungsweise aus heutiger Sicht zu beurteilen.

Bevor wir das Denken einer anderen Frau beurteilen können, müssen wir es ernst nehmen, verstehen, und uns davon auch herausfordern lassen. Die historische Frauenforschung hat vor allem Frauen wiederentdeckt, bei denen wir rufen konnten: „Ganz genauso ist es!”, „Schau, wie fortschrittlich sie war!” Es ist aber wichtig, auch denjenigen zuzuhören, bei denen wir erst einmal staunen: „Warum hat sie das nur gemacht?” oder „Das sehe ich aber völlig anders!”

Staunen ist überhaupt ein unterschätzter Zustand.

Das Jubiläumsjahr zum 150. Geburtstag von Margarete Susman im Oktober ist jedenfalls jetzt gestartet. Ein sehr schöner Auftakt war Ende Januar im Literaturhaus Zürich ein Abend mit der Rabbinerin und Susman-Forscherin Elisa Klapheck und dem Redakteur der Neuen Wege, Matthias Hui, an dem auch ich mitgewirkt habe. Er wurde gestreamt und steht zum Anschauen auf Youtube.

Für alle, die mehr über Margarete Susman erfahren möchten: Elisa Klapheck wird am 7. März bei einer Online-Veranstaltung des Evangelischen Frauenbegegnungszentrums Frankfurt über „Margarete Susman und die politische Dimension von Religion“ sprechen, Hier könnt Ihr euch anmelden! Ich selbst bin am 9. März abends mit einem Vortrag über Susman als Denkerin der Differenz in Ansbach, nähere Angaben dazu unten in der Terminübersicht.

Zum Schluss noch ein Nachklapp zum vorigen Newsletter, in dem es ja um das Thema Mensch-Natur ging. Danke für eure vielen und inspirierenden Rückmeldungen, das Thema bleibt uns erhalten! Soeben hat Dorothee auf bzw-weiterdenken.de ein neues Kapitel aus Chiara Zambonis Buch Die Natur spüren und schreiben” online geschaltet, in dem es um das Verhältnis von Geschlechterdifferenz und Natur geht, sehr sehr lesenswert!

Apropos: Auch ich habe in den vergangenen Monaten weiter zu dem Thema gearbeitet, meine Erkenntnisse aus Schwangerwerdenkönnen” reflektiert und weitergeführt. Das Ergebnis ist ein kleines Buch mit dem Titel Reproduktive Freiheit. Eine feministische Ethik der Fortpflanzung”, das grade in der Druckerei ist und Anfang/Mitte März in den Buchhandel kommt. Genaueres dazu schreibe ich im nächsten Newsletter, ein paar Termine dazu stehen aber schon unten.

Bis dann erstmal, liebe Grüße, Antje

PS: Ganz unten gibt’s wieder Bücher zum Verschenken und diesmal auch eine DVD

Neu im Internet

Noch ein Film über Merkel. Zum Ende der Amtszeit von Angela Merkel hat es viele Dokumentationen und Rückblicke gegeben. Jetzt kommt noch einer auf Arte und in der ARD hinzu - mein Tipp.

Überholte feministische Denkmuster. Sind nur Menschen mit Vulva und Gebärmutter Frauen? Der Deutschlandfunk hat mich zu aktuellen Differenzen im Feminismus interviewt.

Gibt es eine moralische Pflicht zum teilen? Ich predige ja gerne und freue mich, dass der BR mich neuerdings manchmal lässt. Diesmal wetterte ich gegen das Konzept der individuellen Moral. Moral ist nämlich ein Gemeinschaftswerk.

Utopien in der Dystopie! Nach langer Zeit gibt es mal wieder eine Episode von Besondere Umstände, dem Podcast von Benni Bärmann, Eva und mir. Diesmal zu der Frage: Wie geht linke/feministische Praxis, wenn alles den Bach runtergeht?

Ist Gott eine Frau? Das Gespräch mit Claus Geissendoerfer für seinen Podcast hat Spaß gemacht, gerade weil wir eigentlich aus sehr unterschiedlichen Szenen sind. Ich glaube, ich war ihm teilweise zu theoretisch und philosophisch, aber das rutscht mir halt immer so raus.

Emma Goldman - Anarchie, Freiheit, Frauenrechte. Der BR hat eine Sendung über Emma Goldman, zu der ich zwei, drei O-Töne beigetragen habe.

Antje las ein Buch

Rita Laura Segato: Wider die Grausamkeit. Für einen feministischen und dekolonialen Weg. Bin jetzt ein Fan. Wichtige Analyse der argentinisch-brasilianischen Anthropologin zur Verwobenheit von Patriarchat und Rassismus in Süd- und Mittelamerika.

David Graeber, David Wengrow: Anfänge. Eine neue Geschichte der Menschheit erzählen der Anarchist und Anthropologe David Graeber (leider kürzlich verstorben) und der Archäologie David Wengrow hier auf dicken über 600 Seiten. Schade, dass die Entstehung des Patriarchats nicht drin vorkommt. Gefallen hat mir das Buch dennoch.

Malin Lindroth: Ungebunden. Die schwedische Autorin Malin Lindroth versucht eine Ehrenrettung der Alten Jungfer: Warum sie zu ihrer Lebensform steht, ohne sich das Alleinleben schönzureden. Lesenswert!

Termine

Samstag, 26. Februar 2022
Rede zur Eröffnung der Comic-Ausstellung „Movements and Moments“
Mannheim: Künstler*innenhaus zeitraumexit, Hafenstraße 68, 16 Uhr. (mehr)

Mittwoch, 9. März 2022
Margarete Susman, Denkerin der Differenz
Ansbach: Vortrag in der Gumbertuskirche, Johann-Sebastian-Bach-Platz 5, um 19.30 Uhr, veranstaltet von der Gleichstellungsbeauftragten der Stadt Ansbach.

Sonntag, 3. April 2022
Schwangerwerdenkönnen
Düsseldorf: Vortrag und Diskussion, Forum Freies Theater, Konrad-Adenauer-Platz 1, Foyer, 15 Uhr
(mehr).

Donnerstag, 14. April 2022
Mutter – Vater – Schwanger: Die natürlichste Sache der Welt?
Online: Ringvorlesung der TU Darmstadt, 18-19.30 Uhr.

Bücher zum Verschenken

Manchmal habe ich Bücher doppelt, zum Beispiel als Print und als E-Book, oder ich habe eins versehentlich zweimal gekauft habe (schusselig wie ich bin), oder ich habe das Buch zwar gelesen, will es aber nicht behalten, oder ich sortiere mein Bücherregal aus …. -

… deshalb dachte ich, ich frage einfach hier im Newsletter danach, ob jemand ein Buch geschenkt haben will. In dem Fall bitte einfach per Mail mit dem Betreff Bücherverlosung Newsletter Adresse schreiben, first come first serve. Wer mag, kann mir anschließend die Portokosten per paypal an post@antjeschrupp.de ersetzen, aber muss nicht. (Wirklich nicht).

In diesem Monat gibt es :
*Encarnación G. Rodríguez, Pinar Tuzcu: Migrantischer Feminismus in der Frauenbewegung in Deutschland (1985-2000)
*DVD: Die Unbeugsamen, Dokumentarfilm von Torsten Körner über die ersten Politikerinnen in der BRD.
*Ein Exemplar der wunderschönen Zeitschrift “Avenue” zum Thema “Mutter”

Die Sachen sind gebraucht, in der Regel aber in okayem Zustand. Wie gesagt, bei Interesse einfach auf diesen Newsletter antworten, Titel und Postanschrift mailen, wo das Buch hinsoll. Have fun!

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