Lieber Freund*innen und Interessierte:
Ich war shoppen. Seit Monaten schlich ich drum herum, aber es war mir zu teuer. 120 Euro! Nein, die Rede ist nicht von Klamotten oder sowas, sondern von Margarete Susmans Büchern „Vom Sinn der Liebe“ und „Ich habe viele Leben gelebt“. Beide gibt es nur antiquarisch, und ich hatte gehofft, dass sie vielleicht zu ihrem 150. Geburtstag wieder aufgelegt werden. War aber nicht so. Vor allem das erste war teuer - 88 Euro habe ich bezahlt für den Erstdruck aus dem Jahr 1912. Das zweite „Ich habe viele Leben gelebt” ist ihre Autobiografie, die sie 1964, mit über neunzig, veröffentlichte. Auch das war nicht ganz billig zu haben.
Ich habe schon darüber gerantet, wie schade es ist, dass eine Denkerin wie Susman vom bürgerlich-männlichen Kulturbetrieb so vergessen wurde. Aber beim Lesen der beiden Bücher wurde mir klar, dass auch die in den 1970ern gestartete feministische Wiederentdeckung der weiblichen Geschichte oft nur einem bestimmten Typus von Frauen galt.
Margarete Susman war nicht antikonventionell im selben Sinne wie emanzipierte Zeitgenossinnen, etwa Else Lasker-Schüler oder Franziska Zu Reventlow. Susman war eher, wie soll ich sagen, brav. Sie fügte sich, als ihr Vater ihr das Studieren verbot, und überließ ihrem Ehemann den Wahl des Wohnorts, auch wenn sie nicht einverstanden war. Aber ich glaube, gerade weil Susman im Lauf ihres Lebens nicht sehr damit beschäftigt war, zu protestieren und ihren eigenen Standpunkt durchzusetzen, war sie in der Lage, bestimmte Dinge zu erkennen.
Ihre Idee von einem kosmischen Gesetz etwa, das (in Anlehnung an das jüdische Verständnis der Tora) der geistigen und politischen Welt einen Rahmen vorgibt, so wie die Naturgesetzte der physikalischen Welt: Sie hängt sicher damit zusammen, dass die wichtigste Maxime ihres Lebens nicht Individualität und persönliche Freiheit, sondern Austausch und Bezogenheit war. Eine gewisse „Ichlosigkeit” ist vermutlich auch hilfreich, um Anzeichen für Unheil zu sehen. So wie Susman um 1900 beim Kreis um den Dichter Stefan George in München – sie blieb hier trotz Einladung bewusst auf Distanz, während zum Beispiel Franziska Zu Reventlow sich als „heidnische Madonna” feiern ließ von Leuten, die später glühende Antisemiten wurden.
Es geht mir bei diesem Hinweis nicht darum, verschiedenen Frauentypen gegeneinander auszuspielen, sondern um ein Plädoyer dafür, sie in ihrer Unterschiedlichkeit zu würdigen. Unsere Aufgabe bei der Auseinandersetzung mit weiblicher Ideengeschichte ist es nicht, die Schiedsrichterin zu spielen und zu entscheiden, welcher Weg besser und welcher schlechter ist, sondern uns mit Frauen, die andere Erlebnisse hatten, andere Perspektiven und andere Entscheidungen trafen, in eine Beziehung zu setzen. Und zwar, ohne sie von vornherein nach unseren Maßstäben beziehungsweise aus heutiger Sicht zu beurteilen.
Bevor wir das Denken einer anderen Frau beurteilen können, müssen wir es ernst nehmen, verstehen, und uns davon auch herausfordern lassen. Die historische Frauenforschung hat vor allem Frauen wiederentdeckt, bei denen wir rufen konnten: „Ganz genauso ist es!”, „Schau, wie fortschrittlich sie war!” Es ist aber wichtig, auch denjenigen zuzuhören, bei denen wir erst einmal staunen: „Warum hat sie das nur gemacht?” oder „Das sehe ich aber völlig anders!”
Staunen ist überhaupt ein unterschätzter Zustand.
Das Jubiläumsjahr zum 150. Geburtstag von Margarete Susman im Oktober ist jedenfalls jetzt gestartet. Ein sehr schöner Auftakt war Ende Januar im Literaturhaus Zürich ein Abend mit der Rabbinerin und Susman-Forscherin Elisa Klapheck und dem Redakteur der Neuen Wege, Matthias Hui, an dem auch ich mitgewirkt habe. Er wurde gestreamt und steht zum Anschauen auf Youtube.
Für alle, die mehr über Margarete Susman erfahren möchten: Elisa Klapheck wird am 7. März bei einer Online-Veranstaltung des Evangelischen Frauenbegegnungszentrums Frankfurt über „Margarete Susman und die politische Dimension von Religion“ sprechen, Hier könnt Ihr euch anmelden! Ich selbst bin am 9. März abends mit einem Vortrag über Susman als Denkerin der Differenz in Ansbach, nähere Angaben dazu unten in der Terminübersicht.
Zum Schluss noch ein Nachklapp zum vorigen Newsletter, in dem es ja um das Thema Mensch-Natur ging. Danke für eure vielen und inspirierenden Rückmeldungen, das Thema bleibt uns erhalten! Soeben hat Dorothee auf bzw-weiterdenken.de ein neues Kapitel aus Chiara Zambonis Buch „Die Natur spüren und schreiben” online geschaltet, in dem es um das Verhältnis von Geschlechterdifferenz und Natur geht, sehr sehr lesenswert!