Neuer EU-Migrationspakt: Fluch oder Segen?
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2 Fragen an...
Michael Shotter
Direktor Migration und Schutz, Generaldirektion Migration und Inneres, Europäische Kommission
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Was ist das Ziel des Solidaritätsmechanismus und der Rückführungspatenschaft, und wie plant die EU diese umzusetzen? Das neue Migrations- und Asylpaket anerkennt, dass kein Mitgliedstaat alleine eine Krisensituation oder erheblichen Druck auf sein Asylwesen bewältigen sollte. Alle Mitgliedstaaten sind dafür verantwortlich, einen Beitrag zu leisten, die gegenseitige Unterstützung untereinander zu fördern und sich an unterschiedliche Situationen anpassen zu können. Die Mitgliedstaaten können ihre Solidarität entweder durch Umsiedlungen, Rückführungspatenschaften oder Massnahmen zur Stärkung der Kapazitäten zeigen. Im Rahmen einer Rückführungspatenschaft verpflichtet sich ein Mitgliedstaat, irreguläre MigrantInnen ohne Aufenthaltsberechtigung im Namen eines anderen Mitgliedstaats direkt aus dem Hoheitsgebiet des begünstigten Mitgliedstaats zurückzuführen.
Inwiefern entlastet der neue Migrationspakt Spanien, Griechenland oder Italien, deren EU-Aussengrenzen momentan unter Druck stehen? Der neue Pakt legt Mechanismen fest, welche die Mitgliedstaaten an den EU-Aussengrenzen bei der Bewältigung von Drucksituationen entlasten. Der Solidaritätsmechanismus dient einem Lastenausgleich zwischen den EU-Mitgliedstaaten. Ein besseres Monitoring der Migrationssituation innerhalb, an sowie ausserhalb der EU-Grenzen wird die Bereitschaft und Reaktionspläne für Extremsituationen verbessern. Das Grenzverfahren wird verstärkt, wodurch die Rückführung von Personen ohne Aufenthaltsberechtigung in der EU schneller und effektiver wird. Die Kommission strebt eine neue Strategie zur freiwilligen Rückkehr und Reintegration an.
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2 Fragen an...
Nadia Boehlen
Mediensprecherin Amnesty International Schweiz
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Wie beurteilen Sie den Vorschlag für das neue Migrations- und Asylpaket und welche Änderungen gibt es im Vergleich zu den momentanen Regulierungen? Es gibt weder eine Verbesserung noch gibt es eine echte Bereitschaft, Flüchtlinge aufzunehmen oder Brennpunkte wie Griechenland zu entlasten. Zudem gibt es keine wirkliche Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten, obwohl es das ist, was wir wollen, um das Dublin-Verfahren zu renovieren und die Länder der EU-Aussengrenzen zu entlasten. Dies zeigt, dass diese Solidaritätsmechanismen nicht verbindlich sind. Länder wie Ungarn haben bereits erklärt, dass sie sich nicht daran beteiligen werden. Das beschleunigte Verfahren wird vermutlich kontraproduktive Auswirkungen haben, denn beschleunigte Verfahren veranlassen leichtere Ausweisungen einiger Asylsuchenden. Gerade dann, wenn man glaubt, sie kämen nicht aus Risikogebieten, auch wenn sie möglicherweise verfolgt wurden. Schliesslich stärkt dieser Migrationspakt die Delegation der Asylbearbeitung an Drittländer wie die Türkei oder Libyen. Es ist also kein Fortschritt für Amnesty International, der Pakt wird als solidarisch verkauft, er ist es in Wirklichkeit aber nicht.
Gibt es dennoch positive Veränderungen, und wenn ja, welche? Auch wenn dies ein erster Versuch ist, die Asylpolitik auf europäischer Ebene zu verteilen, reicht es (er) auf jeden Fall nicht aus. Der Pakt wurde noch nicht verabschiedet und deshalb braucht es einen Mechanismus, der die Länder des Südens und Ostens entlastet. Es ist zumindest ein Versuch, eine Politik der Solidarität zwischen den EU-Mitgliedstaaten zu entwickeln. Dennoch bleibt Amnesty International weiterhin kritisch und besorgt gegenüber diesem Migrationspakt und wir beurteilen ihn nicht positiv.
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"'Asylpatenschaften' für Europa: EU Kommission stellt neuen Migrationspakt vor", DW Nachrichten, 29.09.2020
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"Wir haben der EU die Schlüssel zu unserem Haus übergeben, und sie öffnen jetzt die Türen; dieser [Migrations-]Pakt ist ein Aufruf an die Welt, ohne unsere Zustimmung in unser Haus zu kommen und sich bei uns niederzulassen. Wir müssen die Schlüssel zurückbekommen." Fraktion Identität und Demokratie (ID), Saveurope, Oktober 2020.
Dieser neue EU-Migrationspakt ist ein Vorschlag der EU-Kommission und muss sowohl vom Rat der Europäischen Union, in dem die Minister aus allen EU-Ländern zusammenkommen, als auch vom Europäischen Parlament, dessen Mitglieder direkt von BürgerInnen der EU gewählt sind, diskutiert werden. Man kann weder von einer "fehlenden Zustimmung" noch von einer Beschlagnahmung der "Schlüssel" sprechen, wenn es sich um einen Vorschlag handelt, der von demokratisch gewählten VertreterInnen und Institutionen der EU stammt. Ausserdem kann der Vorschlag innerhalb der demokratischen Institutionen auch noch abgelehnt werden.
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Tweet des Monats
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