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It's always darkest just before the dawn
So stay awake with me, let's prove them wrong
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Good evening, Europe!

Es ist ein bisschen her, seit ich meinen letzten Newsletter geschrieben habe; gefühlt ungefähr 15 Jahre. Ich weiß gar nicht mehr, was in der Zwischenzeit alles passiert ist — aber irgendwann waren wohl mal Herbstferien und die waren sehr schön und entspannend. Ich habe sehr wenig Zeit im Internet und sehr viel an der frischen Luft verbracht und das ist ja ungefähr immer eine bessere Idee als andersrum.

Außerdem haben wir viel gebastelt, gespielt, gebacken und gekocht, sind Fahrrad gefahren und haben im Wald Esskastanien gesammelt, die wir vermutlich niemals rösten und essen werden, aber was soll's?!
 



Deutschland befindet sich in einem „Lockdown light“ was man vor einem Jahr vielleicht noch mit „Fesselspielchen für Einsteiger*innen“ übersetzt hätte, in Wahrheit aber deutlich weniger sexy ist.

Bei uns zuhause hat sich eigentlich gar nichts verändert (außer, dass letzte Woche einmal der Musikunterricht via Zoom stattfand, diese Woche aber schon wieder in der Musikschule), aber ich habe eine beunruhigende Entwicklung auf Social Media festgestellt: So langsam gehen sie alle aufeinander los!

Menschen aus der Kultur- und Veranstaltungsbranche beklagen sich völlig zu Recht, dass sie, nachdem sie teure und komplizierte Hygienekonzepte umgesetzt haben und es keine Hinweise auf Infektionen bei ihren Veranstaltungen gab, jetzt wieder alles dicht machen müssen. Darauf entgegnen andere: „Ja, stimmt schon, aber habt Ihr im Sommer nicht auch Urlaubsfotos gepostet?“, während Dritte den Gipfel der Passiv-Aggressivität erklimmen und sich über Menschen aufregen, die ihrer Meinung nach die Maske falsch oder gar nicht tragen (wobei sie mutmaßlich nicht vorher nachgefragt haben, ob die Person nicht vielleicht einen medizinischen Grund hat, keine Maske zu tragen), vor allem aber die entsprechenden Tweets wahrscheinlich niemals lesen werden.

Auch schwierig sind jene Menschen, die ostentativ betonen, dass ihnen der neue Lockdown „egal“ sei, weil sie eh seit März zuhause säßen. Das tue ich ungefähr auch, aber das macht uns nicht zu besseren Menschen — ich hatte im Gegenteil in den Tagen vor den erneuten Schließungen ein schlechtes Gewissen, weil ich auch in Zeiten, wo es möglich und einigermaßen unbedenklich gewesen wäre, nie im Kino, Theater oder in meiner Stammkneipe gewesen bin. „Hätte ich ja eigentlich schon machen können“, hab ich gedacht, als mir klar wurde, dass ich gerade in die Stammkneipe mutmaßlich nie wieder zurückkehren werde. 

Schon klar: Eigentlich ist es ein Wunder, dass wir alle noch vergleichsweise gut beisammen sind. Für uns alle ist (mindestens) sechste Stunde. Aber gerade deshalb wäre es doch wirklich hilfreich, den eigenen Zorn kurz wegzuatmen oder wenigstens in einer kleinen anger bubble zu teilen, bevor man in der Echokammer noch mehr schlechte Laune an Wildfremde ausschenkt. (Ja, ich weiß, dass es interessant ist, so was in einer Massen-E-Mail zu schreiben!)

Und dann war ja noch die Wahl ...
 



Ich bin ja durchaus Fan obskurer TV-Formate, in denen stundenlang irgendwelche Zahlen irgendwelchen Kandidat*innen zugeteilt werden, aber was CNN da letzte Woche abgebrannt hat, war eine neue Dimension der Fernsehunterhaltung: In einem Zeitraum, in dem man bequem alle Folgen „Scrubs“ hätte schauen können, wurde immer wieder in Wahlbezirke hineingezoomt, analysiert, gemutmaßt und moderiert (wobei man einzelnen Hosts in diesem Schichtsystem schon anmerkte, dass die ganze Zeit nicht spurlos an ihnen vorüber ging). Zur Not wären der Anzug und die Turnschuhe von Chris Cuomo vermutlich auch noch ganz alleine durchs Studio gelaufen, nachdem der Moderator schon eingeschlafen war.

Samstagnachmittag war es dann endlich soweit: Die ersten Push-Nachrichten der News-Apps erklärten Joe Biden zum Sieger der Präsidentschaftswahl — und zwar exakt in der Sekunde, in der bei Amazon Music nach der Bundesligakonferenz der erste Takt von „Born In The U.S.A.“ erklang.

Am Ende war ich am meisten überrascht, wie groß die Anspannung dann doch war, die von uns allen abgefallen ist — nicht nur vom amerikanischen Teil meiner Familie, sondern einfach von allen. 

Bei Licht besehen war es gerade mal das Allerschlimmste, das noch abgewendet worden war (70 Millionen Menschen haben immer noch für Donald Trump gestimmt, was ca. 70 Millionen mehr sind, als rational zu erklären gewesen wäre), aber in einem Jahr, das sich für die allermeisten anfühlte wie ein monatelanger Vollbrand, war es schön zu sehen, dass wenigstens nicht auch noch das Gartenhaus in Flammen aufgegangen war.

Und als dann gestern auch noch die Meldung kam, dass ein getesteter Corona-Impfstoff wahrscheinlich noch besser funktioniert als vermutet, hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass 2020 auf die letzten Meter (also die, wo wir unserer erweiterten Familie via Zoom frohe Weihnachten wünschen) doch noch ganz okay werden könnte.
 

Ich hab die Zeit statt mit Kino, Bier und Menschen also lieber mit zahlreichen Musikdokus verbracht. In der arte-Mediathek gab es schöne Filme über Simon & Garfunkel und Laurel Canyon, über die ich Euch jetzt viel erzählen kann, weil sie nicht mehr online sind.

Bei Netflix aber gibt es „Song Exploder“, die Fernsehserie zum Podcast, den ich hier im Newsletter schon mehrfach empfohlen habe. Gastgeber Hrishikesh Hirway lässt sich von Musiker*innen erklären, wie ein bestimmter Song von ihnen entstanden ist. Das funktioniert im Podcast sehr schön (wenn man den Song mag), klappt aber dank der grandiosen optischen Umsetzung auf dem Bildschirm fast noch besser. Unter den ersten vier Songs der ersten Folgen ist „Wait For It“ aus „Hamilton“ und „Losing My Religion“ von R.E.M. und ich liebe es sehr. (Bald kommen wohl neue Folgen, darunter eine mit den Killers.)
 

Seit Mai veranstaltet auch Jacqui Naylor, eine befreundete Jazzsängerin aus San Francisco, mit ihrem musikalischen Partner und Ehemann Art Khu unter dem Motto „home 2 home“ monatliche Konzerte im Internet — für uns bisher zu nachtschlafender Zeit.

Am kommenden Samstag, 14. November allerdings werden die beiden ein Konzert (hauptsächlich) für ihr europäisches Publikum spielen:
Ich habe die besondere Freude und Ehre, ein wenig durch diesen Livestream führen zu dürfen (schließlich übe ich den Satz „Good evening, Europe!“ schon seit 27 Jahren vor dem Spiegel), und wir würden uns alle sehr freuen, wenn Ihr mit dabei seid!

Tickets gibt es hier, mehr Infos und Musik auf Jacquis Website.
 

Was macht der Garten? Ein paar Tomaten und Salatköpfe sind noch da.

Was hast Du gehört? Bruce Springsteen hat ein neues Album mit der E Street Band aufgenommen — und es ist sehr, sehr gut geworden! Fast das ganze „Letter To You“ (Spotify, Apple Music) ist eine Feier von Musik, Optimismus und Durchhaltevermögen und es ist etwas überraschend, dass die Songs schon vor Corona geschrieben (drei sogar vor fast 50 Jahren) und aufgenommen wurden. Im amerikanischen „Rolling Stone“ ist ein langer Text erschienen, in dem man mehr über die Hintergründe des Albums erfährt.

Ebenfalls sehr schön und sehr amerikanisch ist „Remover“ (Spotify, Apple Music) geworden, das zweite Soloalbum von Darren Jessee, der sonst der Drummer bei Ben Folds Five und irgendwie alles bei Hotel Lights ist/war. Die Musik ist etwas melancholischer und deutlich weniger rockig als bei Springsteen, aber damit passt sie natürlich perfekt in den (ja dann doch erstaunlich optimistischen und lichtdurchfluteten) November. (Und „Never Gonna Get It“ ist ein heißer Kandidat auf meinen Song des Jahres.)

Manchmal dauern gute Dinge auch schon mal elf Jahre: So lang ist „Don't Stop“ her, das letzte Album von Annie. Jetzt ist mit „Dark Hearts“ (Spotify, Apple Music) das dritte Album der Norwegerin erschienen, bei dem ihre elektronisches Songs weniger in Richtung Kylie Minogue und mehr in Richtung „Drive“-Soundtrack gehen. 

Auch ein neues Album haben meine einstiegen Lieblinge Travis veröffentlicht. Etliche Kritiker*innen feiern „10 Songs“ (Spotify, Apple Music) als „Rückkehr zu alter Form“, mir ist es ehrlich gesagt ein bisschen egal.

Was hast Du gesehen? Bei Amazon Prime Video habe ich endlich mal „Knives Out“ von Rian Johnson geschaut. Der Film beginnt als Agatha-Christie-mäßiges Kammerspiel im Geiste von „Cluedo“ und nimmt dann irgendwann jede Abfahrt, mit der man nicht gerechnet hätte. Drehbuch, Cast, Regie: alles genial! Ich hatte lange nicht mehr so viel Spaß mit einem Film!

Bei Netflix habe ich das Unvorstellbare getan und eine deutsche Serie geschaut — na gut: eine Miniserie mit sechs Folgen. In „Das letzte Wort“ spielt die großartige Anke Engelke eine Frau in den besten Jahren, deren Mann auf der Silberhochzeit stirbt, weswegen sie sich dann als Trauerrednerin selbständig macht. Die ersten beiden Folgen sind sehr gut, die dritte grandios — und gerade, als ich Stefan Niggemeier eine SMS schrieb, um ihm mitzuteilen, für wie großartig ich diese Serie halte, geriet alles ins Schlingern. Anke Engelke und die anderen Schauspieler*innen sind toll, aber ich werde das Gefühl nicht los, dass das Ganze als zweistündiger Film viel, viel besser hätte funktioniert hätte. (Ohne zu viel vorwegnehmen zu wollen: Die sechste Folge ist wirklich eine sehr, sehr ärgerliche Antwort auf die Frage „Brauchen wir eigentlich auch eine Idee für den Schluss?“ in der allerersten Buchbesprechung.)

Was hast Du gelernt? Everything will be alright in the end.
Der Soundtrack, wenn alles doch noch irgendwie gut wird.
Habt eine schöne Rest-Woche & stay positive, Euer Lukas

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