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Antje Schrupp – Newsletter

vom 23. Dezember 2020

“Fürchtet euch nicht”, sagt der Engel in der Weihnachtsgeschichte. Aber, kleines Detail: Es geht dabei nicht um Corona (Mehr dazu unten in den Links) - Foto: Owtana/Unsplash

Liebe Freund:innen,

Nun ist fast Weihnachten. Nun ist fast das Jahr schon vorbei. War es ein langes oder ein kurzes Jahr? Ich bin mir auf eine merkwürdige Art unsicher.

Im März wollte ich nach China reisen, das ging dann schon nicht mehr, aber das kommt mir vor wie in einer fern, fern zurückliegenden Zeit. Erinnerungen an Geburtstagsfeiern im Januar, nicht einmal ein Jahr ist es her, und dennoch fühlt es sich so fern an, als wäre das vor Jahrzehnten gewesen.

Andererseits geht die Zeit unglaublich schnell vorbei. Vermutlich auch deshalb, weil so wenig Abwechslung ist. Die Erinnerung an Dinge und Ereignisse hat, glaube ich, einen starken körperlichen Aspekt. Ich erinnere mich zum Beispiel, welche Kleidung ich bei welchem Event getragen habe, dass die Schuhe unbequem waren, dass ich gefroren oder geschwitzt habe. Dass es etwas Leckeres zu Essen gab, dass wir länger stehen mussten, dass meine Sitznachbarin ein angenehmes Parfum trug (oder ein schlimmes).

Diese körperlichen Einschreibungen von Vergangenem sind in letzter Zeit fast ganz ausgefallen. Ich habe zwar durchaus viel erlebt, vielen Gesprächen, Treffen, Veranstaltungen beigewohnt, aber eigentlich immer in denselben Klamotten: untenrum bequem, obenrum fein, ich schminke mich sogar inzwischen vor der Kamera, damit ich nicht immer so glänze im Gesicht. Aber es ist ein körperlich empfundener Einheitsbrei. Egal wo ich (geistig) bin und was ich tue: ich trinke immer meinen eigenen Tee, esse mein eigenes Essen, rieche den Geruch meiner eigenen Wohnung. Und wenn ich rausgehe, dann höchstens in einem Radius von wenigen Kilometern: Ins Büro, an den Main, in den Supermarkt, zum Bäcker.

Mein Zeitgefühl, so scheint mir, ist durcheinandergekommen, weil mein Körper sich nicht mehr so viel im Raum bewegt. Erlebt Ihr das auch?

Noch etwas anderes beobachte ich jedoch, und das ist ziemlich praktisch: Ich ziehe plötzlich Blusen und Pullover an, die ich sonst fast nie getragen habe. Die schon lange im Schrank hingen, sich aber im “On-the-Road”-Alltag nicht bewährt haben. Zum Beispiel besitze ich einen schönen warmen flauschigen Pulli, dessen Ausschnitt aber so groß ist, dass ich ihn fast nie trug, weil es dafür keine richtige Temperatur gibt: Es ist entweder zu kalt für den Hals oder zu warm für den Rest. Oder die Bluse, die zwar sehr schön aussieht, aber spätestens nach einer Stunde zu müffeln anfängt. Jetzt, vor dem Bildschirm kommen solche Teile endlich zum Einsatz!

Andererseits, die Idee, jeden Tag dasselbe Kleid zu tragen, so wie es meine Denkfreundin Michaela Moser seit ein paar Wochen macht, die finde ich auch ziemlich charmant.

Mit diesen Gedanken wünsche ich euch, so gut das in diesen Zeiten möglich ist, ein schönes Weihnachtsfest, ob in Jogginghose oder nicht. Und auch alles Gute für das neue Jahr. Habt ein paar schöne Rauhnächte und die richtige Balance aus Action und Ruhe,

herzliche Grüße,

Antje

Neu im Internet

Maria. Die queere Ikone der Christenheit. Passend zur Jahreszeit der Geburt ihres Sohnes Jesus habe ich mich noch einmal mit der Mutter Gottes beschäftigt. Hier auf Zeit-Online in der Reihe 10 nach 8 lesen.

Der Sprung/Salto della specie: Dieses Manifest haben italienische Feministinnen im Mai 2020 verfasst, jetzt hat Sandra Divina Laupper es ins Deutsche übersetzt. Ich finde es großartig, vor allem der Vorschlag, Frauen sollten sich in der Corona-Krise nicht als Diskriminierte verstehen, sondern als Protagonistinnen eines zivilisatorischen Wandels! Differenzfeminismus vom Feinsten. Hier lesen

Schwangerwerdenkönnen und Geschlechtlichkeit: Caroline Krüger hat mich zum Verhältnis von reproduktiver Differenz und Geschlechterdifferenz interviewt, hier lesen.

Drei Gründe, warum ich “Fürchtet euch nicht” als Botschaft problematisch finde habe ich in meinem Blog notiert.

Luisa Muraro: Die Gegenwart denken: In ihrem Beitrag für einen Online-Philosophie-Marathon hat die italienische Philosophin Bilanz ihres feministischen Engagements gezogen, fand ich hörenswert und habe es daher übersetzt und mit deutschen Untertiteln versehen. Hier anschauen!

Triage und die Moral. Warum es in der gegenwärtigen Pandemie-Situation keine moralisch richtigen Entscheidungen mehr gibt. Ein Kommentar.

Was man vom Nikolaus über Sexarbeit lernen kann, schrieb ich kurz hier.

Neue Bücher:
Weiterhin lese ich viel, hier meine Ausbeute der vergangenen Wochen:
Ganz klar mein Buch des Jahres ist dieses hier:
* Naika Foroutan/Jana Hensel: Die Gesellschaft der Anderen (Youtube)
Ansonsten las ich:
* Veronika Kracher: Incels (Youtube)
* Judith Butler: Die Macht der Gewaltlosigkeit (Goodreads)
* Jan Feddersen, Philipp Gessler: Phrase unser (Goodreads, nicht zu empfehlen)

Sonst noch

Wieder mal wird eine Verfilmung des Lebens von Victoria Woodhull angekündigt. Ich glaubs ja erst, wenn es soweit ist.

Im Januar geht es dann auch wieder mit Veranstaltungen weiter, genauere Infos dazu gibts im nächsten Newsletter, aber wenn du schonmal einen Blick darauf werfen willst!

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