Schon über ein Jahr war dem Jüngling in Trauer verstrichen, als er eines Tages an die Brücke kam, wo seine Liebste ihr Ende gefunden hatte. Als er sich das Unglück ins Gedächtnis zurückrief, weinte er bitterlich. Mit einem Mal hörte er einen sehr schönen Gesang, obwohl nirgends ein menschliches Wesen zu sehen war. Die Stimme sang:
Durch der Mutter Fluch beschworen
nahm das Wasser die Unsel’ge
barg das Wellengrab die Schöne
deckte Athis Flut das Liebchen.
Der Königssohn stieg vom Pferde und spähte nach allen Seiten, ob nicht jemand unter der Brücke versteckt sei. Aber soweit sein Auge reichte, war nirgends ein Sänger zu sehen. Auf der Wasserfläche schaukelte zwischen breiten Blättern eine Seerose. Das war der einzige Gegenstand, den er erblickte. Aber eine Blume konnte doch nicht singen. Dahinter musste ein Geheimnis stecken. Er band sein Pferd am Ufer an einen Baumstumpf, setzte sich auf die Brücke und lauschte. Eine Zeitlang blieb alles still, dann sang die Stimme wieder:
Durch der Mutter Fluch beschworen
nahm das Wasser die Unsel’ge
barg das Wellengrab die Schöne
deckte Athis Flut das Liebchen.
Da dachte der Königssohn: »Wenn ich ungesäumt zur Waldhütte reite, wer weiß, ob mir nicht die Goldspinnerinnen dieses wunderbare Rätsel deuten können«.
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