Copy

Humboldts Kosmos


Liebe Freundinnen und Freunde von Archijeunes
 
An Weihnachten wurde mir ein Buch geschenkt: «Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur». Thema und Zeitpunkt waren perfekt.
 
Humboldt gilt als Geburtshelfer der Ökologie, als Klimaforscher der ersten Stunde. Er entwickelte anfangs des 19. Jahrhundert einen neuen Blick auf die Pflanzenwelt. Er sammelte nicht nur bis dahin unbekannte Pflanzen und kategorisierte sie, er fragte sich auch, wie sich die Arten zueinander verhalten, wie sie sich verbreiten und wie sie dabei durch den Menschen beeinflusst sind. Der Terrainschnitt durch die Tropenlandschaft und den schneebedeckten Vulkan Chimborazo, den er auf seiner Forschungsreise durch die Anden anfertigte, ist eine Zeichnung mit einem unvorstellbaren Reichtum an wissenschaftlichen Angaben über Feuchtigkeit, atmosphärischen Druck, Temperatur, chemische Zusammensetzung der Luft sowie über die Tiere und Pflanzen, die in den verschiedenen Höhenlagen leben. In seinem ganzheitlichen Ansatz markierte Humboldt auch immer die Gebiete der Siedler, der Ureinwohner und die verlassenen Städte der Inkas. Schon damals kritisierte er die Zerstörung und Ausbeutung der Natur durch die Kolonialmacht, die spanische Krone.
 
Heute ist das Wissen über das einstige Verhältnis zwischen Mensch und Natur unvergleichlich viel grösser, und es wächst jeden Tag. Archäologen aus aller Welt erforschen die Erde mit neusten Methoden aus Chemie, Biologie und bildgebenden Verfahren. Sie machen DNA-Vergleiche und Fotos aus dem All und tragen das oft lokal erarbeitete Wissen in einer weltweit zentralen Datenbank namens Archaeoglobe zusammen. In ihrem Beitrag «Die unberührte Natur ist nur ein Mythos», in der NZZ am Sonntag vom 3. Januar 2021, meinen die drei Wissenschaftler Lucas Stephens, Erie Ellis und Dorian Fuller: «Menschliche Gesellschaften haben den grössten Teil der Biosphäre der Erde viel früher und tiefgreifender verändert, als wir dachten.» Ein Beispiel dafür sind Entdeckungen im südwestlichen Amazonasgebiet, wo Menschen schon vor 10'000 Jahren Nutzpflanzen anbauten. «Sie lebten», so die Wissenschaftler, «in einer künstlich angelegten Landschaft, die aus tausenden von bewaldeten Inseln inmitten einer saisonal überfluteten Savanne bestand. Die Regel war ein langes Kontinuum der Ausbeutung, Umsiedlung und Bewirtschaftung von Pflanzen, Tieren, Landformen und Ökosystemen – lange bevor die Domestizierung stattfand.» Ein weiteres Beispiel ist die Trockenlegung des Kopais-Sees in der griechischen Region Boötien im 13. Jahrhundert v. Chr. Dort kanalisierten die spätbronzezeitlichen Bewohner Flüsse, gruben Kanäle, bauten lange Deiche, erweiterten natürliche Senkgruben und leiteten so das Wasser ab, um den nährstoffreichen Boden landwirtschaftlich zu nutzen.
 
Mit dem Ackerbau, der Viehzucht und dem Sesshaftwerden der Menschen entstanden Siedlungen, Städte und Zivilisationen. Ihre Behausungen, Kultstätten und Infrastrukturbauten galten schon immer als Wiege der Baukultur. Wenn nun die Landnutzung, im ganzheitlichen Sinne Humboldts, auch dazu zählt, was hat das für Folgen für die baukulturelle Bildung von heute? Archijeunes wird sich mit dieser Frage beschäftigen müssen. «Ein besseres Verständnis, wie unsere Umwelt mit unseren kulturellen Werten verknüpft ist», so die oben erwähnten Wissenschaftler, «hilft uns letztlich dabei, bessere Entscheidungen zu treffen – und es legt die Verantwortung für die Zukunft des Planeten direkt auf unsere Schultern».
 
Ich wünsche Ihnen viel Freude und Zuversicht fürs neue Jahr.

Herzliche Grüsse
Thomas Schregenberger, Präsident Archijeunes
 

Unser Tipp:
Das Hörstück «Der Klang vom St. Johann»


Unsere Online-Bibliothek wird dieses Jahr eröffnet. Wir sind weiterhin fleissig daran, die Regale zu füllen. Sabrina Zimmermann lässt sich dabei über die Schultern schauen. Im Januar empfiehlt sie das Hörstück «Der Klang vom St. Johann» von Florian Hohnhorst: Mit den BewohnerInnen des Basler St. Johann-Quartiers begeben wir uns auf geräuschvolle Streifzüge durch die Nachbarschaft. Schweigend, aber ganz Ohr, wird so neu entdeckt, was sie in ihrem Alltag stets umgibt. Lebendige Strassen und Plätze, quirlige Vögel, den nahe gelegenen Rhein, eine Brücke, aber auch die zurückhaltenden Geräusche und Klänge aus halböffentlichen Hinterhöfen. Ihre Klangspaziergänge reflektieren die Beteiligten im Hörspiel und machen Lust darauf, es ihnen gleichzutun. Dazu empfehle ich die kostenlose Stadtsache-App! Anke Leitzgen, Co-Autorin von «Entdecke deine Stadt» hat hier ein kreatives Werkzeug geschaffen, mit dem Jugendliche und Kinder Gebautes, Grünes, Technisches oder Poetisches in ihrer Stadt sammeln und kartographieren können. Die Fundstücke werden mittels Fotos, Geräuschen und Videos festgehalten und über die App mit den anderen NutzerInnen geteilt. Unbedingt ausprobieren!

Filmische Schatztruhe:
Die Raumplanung in der Schweiz


Die Raumplanung wäre – ganz im Sinne Alexander von Humboldts – eine Disziplin, die viele sehr unterschiedliche Themen vereint und zu einer neuen Synthese führt. Nur leider erwies sie sich in der Praxis der letzten fünfzig Jahre eher als technokratisches Instrument zur Segmentierung des Territoriums. Neue Ansätze sind allerdings im Umlauf und es könnte durchaus sein, dass die Raumplanung in den nächsten Jahren eine neue, ganzheitliche Rolle einnimmt. Wie vielfältig das Thema ist, zeigt ein Blick in die Vergangenheit. Das Netzwerk Stadt und Landschaft NSL, ein Verbund von über einem Dutzend Professuren an der ETH Zürich, hat eine schöne Kollektion von historischen Filmen zur Raumplanung in der Schweiz zusammengestellt. Die meisten davon sind Wochenschau-Beiträge, kleine filmische Kunstwerke mit durchdachter Dramaturgie, Regiekonzept und kühnen Bildern. Die Sammlung zeigt zum einen die grosse Vielfalt an raumplanerisch relevanten Themen und zum anderen bildet sie den Zeitgeist vergangener Jahrzehnte ab – etwa, um nur ein Beispiel zu nehmen, die fast grenzenlose Euphorie, mit der der Autobahnbau begleitet wurde.

Tipps für die Vermittlung:
Denkmal Europa


«Denkmäler zeigen, dass alles ständig im Wandel ist»: Der flotte Introfilm zur Plattform «Denkmal Europa» bringt es bereits auf den Punkt. Denkmäler sind nicht einfach alte Gemäuer, sondern sie sind essenziell wichtig für das Verständnis der Welt von heute. Abgesehen davon sind Denkmäler ein dankbares Thema für die baukulturelle Bildung. Die alten Bauten erzählen ihre Geschichte fast schon von selbst; man kann sie besuchen, anfassen und durch ihre Räume wandeln. Die Vereinigung der Landesdenkmalpfleger in Deutschland nutzte den Schwung des Kulturerbejahrs 2018 und baute ihre Bildungsarbeit spürbar aus. Eines der Produkte dieses Elans ist die erwähnte Webseite «Denkmal Europa», die fast schon als Einstiegsportal für die Denkmalpflegevermittlung an Kinder und Jugendliche verstanden werden könnte. Übersichtlich geordnet werden Begriffe geklärt, vor allem aber viele konkrete Tipps für die Vermittlung und den Unterricht weitergegeben.

KulturagentInnen Schweiz:
Baukulturelle Bildung ist auch dabei!


Sie haben einen bewundernswerten Beruf, die KulturagentInnen. Die sechs Frauen und drei Männer der Kulturagent.innen Schweiz kennen sich in Kunst und Kultur aus und arbeiten an Schulen mit Kindern und Jugendlichen. Sie bringen die kulturelle Bildung mit der Schulentwicklung zusammen und probieren dabei allerhand aus. So gründete etwa die Kulturagentin Sylvie Vieli in Bazenheid ein «Institut für Raumforschung» und untersuchte mit der einen Gruppe ganz genau einen Raum, während die andere Gruppe die freien Flächen unter die Lupe nahm – Baukulturelle Bildung direkt vor den Füssen. Die Kulturagentin Bettina Eberhard wiederum nahm die Kunstinstallation «Metro-Net» von Martin Kippenberger zum Anlass, zusammen mit den SchülerInnen des Schulzentrums Bernegg in Kreuzlingen eine U-Bahn-Station zu planen. Dabei erfuhr sie so einiges über das Schulhaus.
Archijeunes
Baukulturelle Bildung für Kinder und Jugendliche


Postfach 907
4001 Basel
office@archijeunes.ch
Ein gemeinsames Projekt
von SIA und BSA

   






This email was sent to <<E-Mail>>
why did I get this?    unsubscribe from this list    update subscription preferences
Archijeunes · Pfluggässlein 3 · Basel 4001 · Switzerland