RAUM FÜR LEKTÜREN
«Wer von Erzählern und Betrachtern hat so Grosses zu sagen, daß er sich unmöglich kürzer fassen könnte, als er es tut [sic]? Wo ist der Geist, dem [...] die knappste Formel nicht genügte? [...] Das Leben ist zu kurz für lange Literatur, zu flüchtig für verweilendes Schildern und Betrachten, zu psychopathisch für Psychologie, zu romanhaft für Romane, zu rasch verfallen der Gärung und Zersetzung, als dass es sich in langen und breiten Büchern lang und breit bewahren ließe. Daß die Schriftsteller [sic] Zeit finden, weitläufig zu schreiben, kann ich zur Not verstehen: Der Dämon treibt, Fülle drängt sie, der gewaltige Strom gräbt sich sein gewaltiges Bett. Da kann man nichts machen. Aber daß Menschen dieser tobenden, von nie erlittenen Wehen geschüttelten Epoche Ruhe und Zeit, innere Zeit, finden, weitläufig zu lesen, ist mir ein rechtes Mirakel. [...] kein Mensch weiss, wohin die Reise geht, aber daß sie geht und wie sausend rasch sie geht, spüren wir am Schwindel: wer wollte da mit überflüssigem Gepäck beladen sein? Ballast ist auszuwerfen – und was alles entpuppt sich nicht als Ballast? –, kürzeste Linie von Punkt zu Punkt heißt das Gebot der fliehenden Stunde.»
Zitat aus Alfred Polgars Die kleine Form. In: ders. Kleine Schriften* (Bd. 3). Hgg. von Marcel Reich-Ranicki u. Ulrich Weinzierl. Reinbek bei Hamburg 1984, S. 372-373.
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